Novene zum Heiligsten Herzen Jesu 1)

1) Die in dieser Novene enthaltenen Betrachtungen gelten allgemein als das Meisterstück der aszetischen Schriften des heiligen Alfonsus; dieselben eignen sich auch besonders zu Besuchungen des Allerheiligsten Altarssakramentes.

Bedeutung von Aszetik: http://www.kathpedia.com/index.php/Aszetik

 

Erster Betrachtung

Das liebenswürdige Herz Jesu

Wer in jeder Hinsicht liebenswürdig erscheint, dem können wir unmöglich unsere Liebe versagen. Somit würden wir uns alle in der glücklichen Notwendigkeit befinden, Jesus Christus zu lieben, wenn wir darauf bedacht wären, in die vielen Gründe, um derentwillen er unsere Liebe verdient, immer tiefer einzudringen. Oder könnte es wohl ein liebenswürdigeres Herz geben, als das Herz Jesu? Dieses Herz ist ganz rein, ganz heilig, ganz durchdrungen von Liebe zu Gott und den Menschen; denn alle Wünsche, die dasselbe bewegen, haben die Ehre Gottes und das Heil der Seelen zum Gegenstand. An diesem Herzen findet Gott die vollkommenste Freude, das innigste Wohlgefallen. In diesem Herzen herrschen alle Tugenden und Vollkommenheiten; wohnen in ihm die glühendste Liebe zum himmlischen Vater, verbunden mit einer Demut und Ehrfurcht, wie sie größer nicht gedacht werden können; die tiefste Beschämung wegen unserer Sünden, die Jesus auf sich genommen, vereinigt mit einem vollkommenen Vertrauen, wie es einem zärtlich liebenden Sohne eigen ist; der größte Abscheu vor unseren Sünden und zugleich das innigste Mitleid mit unserem Elend; die tiefste Betrübnis und zugleich die vollkommenste Ergebung in den Willen Gottes. So findet sich also in Jesus alles vereinigt, was es Liebenswürdiges geben kann. Manche Menschen werden geliebt wegen ihrer Schönheit, andere wegen ihrer Unschuld, wieder andere wegen ihrer Leutseligkeit oder ihrer Frömmigkeit. Fänden sich nun alle diese Eigenschaften und außerdem noch andere Vorzüge in einer Person vereinigt, könnten wir ihr wohl unsere Liebe versagen? Gesetzt, in einem fremden Land lebte ein Fürst, der sich durch Schönheit, Demut, Freundlichkeit und Frömmigkeit auszeichnete, der jedermann mit Liebe und Sanftmut behandelte und sogar die ihm zugefügten Beleidigungen mit Wohltaten vergälte: gewiss würden wir ihn lieben; ohne ihn zu kennen, ohne von ihm gekannt zu sein, ohne in irgendwelchen Beziehungen zu ihm zu stehen, würden wir uns mit unwiderstehlicher Gewalt zu ihm hingezogen fühlen. Nun denn, Jesus Christus besitzt alle jene Tugenden, und zwar im vollkommensten Grade; dazu liebt er uns mit zärtlichster Liebe. Wie kommt es doch, daß er trotz alledem so wenig von den Menschen geliebt wird? Warum bildet er nicht den einzigen Gegenstand unserer Liebe? Ach, ob schon Jesus allein ganz liebenswürdig ist und uns mit Beweisen seiner Liebe überhäuft hat, so ist er sozusagen doch der einzige, dem es nicht gelingt, unsere Liebe zu gewinnen, als ob er derselben nicht würdig genug wäre! Die heilige Rosa von Lima, die heilige Katharina von Genua, die heilige Theresia und die heilige Maria Magdalena von Pazzi zerflossen in Tränen, wenn sie an diese Undankbarkeit der Menschen dachten, und riefen klagend aus: „Ach, die Liebe wird nicht gelebt! Die Liebe findet keine Gegenliebe!“

 

Anmutungen und Gebete

Liebenswürdigster Erlöser, hätte mir wohl dein himmlischer Vater einen Gegenstand der Liebe vor Augen stellen können, der es mehr verdiente geliebt zu werden, als du? Du bist die Schönheit des Paradieses, du der Gegenstand der Liebe des ewigen Vaters; dein Herz ist die Wohnstätte aller Tugenden. Liebenswürdiges Herz meines Jesu, wie sehr verdienst du, von allen Herzen geliebt zu werden! Wie arm und unglücklich ist jenes Herz, welches dich nicht liebt! Ach, solch ein unglückseliges Herz war auch das meinige während all jener Zeit, da es dich nicht liebte! Doch in diesem traurigen Zustand will ich nicht länger verharren. Ich liebe dich, mein Jesus, und ich will nicht mehr aufhören, dich zu lieben. Bisher habe ich nur wenig an dich gedacht; sollte ich noch zögern, mein Verhalten zu ändern? Sollte ich warten, bis mein Undank dich zwingt, mich ganz und gar zu vergessen und mich meinem Schicksal zu überlassen? Liebster Heiland, lass nicht zu, daß dies geschehe. Du wirst von einem Gott geliebt, und du solltest nicht von einem elenden Sünder, wie ich es bin, geliebt werden, von einem Sünder, den du mit Wohltaten überhäuft und deiner Liebe gewürdigt hast? Ihr heiligen Flammen, die er in dem liebenden Herzen meines Jesus brennet, entzündet in meinem armen Herzen jenes heilige und glückseliger Feuer, welches Jesus, als er vom Himmel auf die Erde herabstieg, in den Herzen der Menschen entfachen wollte. Verzehret und vernichtet alle ungeordneten Neigungen, welche mein Herz beherrschen und es hindern, meinem Gott ganz anzugehören. Geliebtester Erlöser, bewirke doch, daß dieses Herz nur mehr lebe, um dich, dich allein zu lieben. Ich habe dich eine Zeitlang verachtet; aber wisse, daß du jetzt der einzige Gegenstand meiner Liebe bist. Ja, ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich, und außer dir will ich niemanden lieben. Mein geliebter Heiland, verschmähe es nicht, von einem Herzen geliebt zu werden, das dich früher gekränkt hat. Verherrliche dich selbst, indem du den Engeln das Schauspiel eines Herzens bietest, welches eine Zeitlang dir entfremdet war und dich missachtete, das aber jetzt von Liebe zu dir entbrannt ist. Heiligste Jungfrau Maria, auf dich setze ich meine Hoffnung; stehe mir bei und bitte Jesus, mich mit seiner Gnade so umzugestalten, daß ich seinen Wünschen entspreche!

 

 

Zweite Betrachtung

Das liebende Herz Jesu

Wäre es uns doch vergönnt, die Größe der Liebe zu ermessen, mit welcher das Herz Jesu uns liebt! Wenn noch alle Menschen, Engel und Heilige ihre Kräfte vereinigten, so wären sie doch nicht imstande, auch nur den tausendsten Teil jener Liebe zu erreichen, die Jesus Christus zu uns trägt. Er liebt uns in einem unendlich höheren Grade, als wir selbst uns zu lieben vermögen; hat er uns doch bis zum Übermaße geliebt. „Sie redeten von seinem Übermaße, daß er in Jerusalem erfüllen sollte.“ 1) Ein Gott stirbt für seine Geschöpfe: könnte es wohl ein größeres Übermaß geben? Die Liebe Jesu zu uns kannte keine Grenzen. „Da er die Seinigen lieb hatte, so liebte er sie bis ans Ende.“ 2) Diese Liebe trug er von Ewigkeit her in seinem Herzen; es gab keinen Augenblick, in dem er nicht an uns dachte, in dem er nicht einen jeden aus uns liebte. „Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt.“ 3) Aus Liebe zu uns wurde er Mensch und wählte für sich ein Leben voller Mühsale und den Tod am Holze des Kreuzes. Die Liebe zu uns Menschen lag im also mehr am Herzen, als seine Ehre, seine Ruhe und sein Leben; denn alles dies opferte er, um uns seine Liebe zu beweisen. Gewiss ein Übermaß von Liebe, über das die Engel und der ganze Himmel in alle Ewigkeit staunen werden. Diese Liebe hat ihn ferner bewogen, im Allerheiligsten Altarssakramente wie auf einem Throne der Liebe bei uns zu bleiben. Unter Brotsgestalt verhüllt, in ein Ziborium eingeschlossen, aller Bewegung und jeglichen Gebrauches seiner Sinne beraubt, weilt er in unserer Mitte; er hat sich seiner Majestät gänzlich entäußert, um einzig und allein der Liebe zu uns Menschen zu leben. Wer jemanden liebt, ist stets darauf bedacht, dessen Gegenwart zu genießen. Aus diesem Grunde wollte Jesus Christus im Allerheiligsten Sakramente bei uns bleiben. Es schien seiner Liebe zu wenig, nur dreiunddreißig Jahre unter den Menschen auf Erden gewohnt zu haben; darum wirkte er das größte aller Wunder: er setzte das heiligste Altarssakrament ein. Dadurch bekundete er sein Verlangen, fortwährend in unserer Mitte zu verbleiben. Das Werk der Erlösung war bereits vollbracht, die Menschen waren mit Gott versöhnt; scheinbar war also für Jesus Christus kein Grund vorhanden, in der heiligen Eucharistie hier auf Erden zurückzubleiben. Allein er blieb, weil er sich nicht von uns trennen konnte. Sagte er ja selbst, daß es seine Wonne sei, unter uns zu verweilen. — Die Liebe zu uns bewog ihn ferner, sich selbst unserer Seele zur Speise zu geben, um sich aufs innigste mit uns zu vereinigen und aus seinem Herzen und unserem Herzen ein einziges Herz zu machen. „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.“ 4) Staunenerregendes Wunder, Übermaß der göttlichen Liebe! Ein heiligmäßiger Mann pflegte zu sagen: „Wenn etwas imstande wäre, meinen Glauben an das Allerheiligste Altarssakrament wankend zu machen, so wäre dies nicht die Frage, wie es möglich sei, daß das Brot sich in den Leib Christi verwandle, oder wie der göttlicher Heiland gleichzeitig an mehreren Orten gegenwärtig und auf einen so kleinen Raum beschränkt sein könne; denn auf diese Frage würde ich antworten: Gott ist allmächtig. Wenn mir dagegen jemand die Frage stellt: Wie konnte die Liebe Gottes zu den Menschen bis zu einem solchen Grade steigen, daß er sich selbst ihnen zur Speise gab, so kann ich darauf nur erwidern:  Hier stehe ich vor einer Glaubenswahrheit, die meinen Verstand übersteigt, und vor einer Liebe, die über jeden Begriff erhaben ist.“ Oh Liebe Jesu, bewirke doch, daß alle Menschen dich erkennen und lieben!

 

Anmutungen und Gebete

Anbetungswürdiges Herz meines Jesus, o Herz, daß du von Liebe zu den Menschen glühest und eigens dazu geschaffen bist, um die Menschen zu lieben! Wie kommt es doch, daß die Menschen dir so wenig Gegenliebe widmen und dich so geringschätzig behandeln? Ach, ich Unseliger, auch ich habe zu den Undankbaren gehört, welche nicht darauf bedacht waren, dich zu lieben! Verzeihe mir, mein Jesus, daß ich mich der großen Sünde schuldig gemacht habe, dich nicht zu lieben, der du so überaus liebenswürdig bist und alles getan hast, was in deinen Kräften stand, um trotz meines Widerstrebens meine Liebe zu gewinnen. Ich erkenne es wohl: für meine frühere Weigerung, dich zu lieben, wäre es eine gerechte Strafe, wenn ich dazu verurteilt würde, dich nie mehr lieben zu können. Doch nein, liebevoller Erlöser, verhänge jede andere Strafe über mich, nur diese nicht. Verleihe mir die Gnade, dich zu lieben, und dann züchtige mich, wie es dir gefällt. Indessen, wie könnte ich fürchten, von jener Strafe getroffen zu werden, da ich höre, wie du fortfährst, mich an das süße, wonnevolle Gebot zu erinnern, welches mich verpflichtet, dich zu lieben? „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen.“ 5) Ja, mein Erlöser, du verlangst meine Liebe, und ich will sie dir schenken; noch mehr, dir allein will ich sie schenken, der du mich so sehr geliebt hast. Oh Liebe meines Jesus, dir gilt meine ganze Liebe. Liebeentbranntes Herz Jesu, teile die Glut deines Herzens auch dem meinigen mit. Lass nicht zu, daß in der Folge nochmals ein Augenblick wiederkehre, in dem ich dich nicht liebe; lass mich lieber sterben oder vernichtet werden, auf daß  ich, den du so sehr geliebt und mit Gnaden und Erleuchtungen überhäuft hast, nochmals deine Liebe verachte; gib nicht zu, daß die Welt einen so schmählichen Undank erlebe; ich bitte und flehe, mein Jesus, lasse das nicht geschehen. Um des Blutes Willen, daß du für mich vergossen hast, hege ich die Hoffnung, dich immer zu lieben und immer von dir geliebt zu werden, und diese unsere gegenseitige Liebe soll in Ewigkeit nicht aufhören. Oh Maria, du Mutter der schönen Liebe, die du so sehnlich wünschest, daß Jesus geliebt werde, verbinde mich aufs engste mit deinem Sohne, vereinige mich so innig mit ihm, daß ich nie mehr von ihm getrennt werde.

1) Lk 9, 31 — 2) Joh 13, 1 — §) Jer 31, 3 — 4) Joh 6, 57 — 5) Mt 22, 37

 

 

Dritte Betrachtung

Das Liebe verlangende Herz-Jesu

Jesus bedarf unser nicht; er bleibt ebenso glückselig, reich und mächtig, wenn wir ihm unsere Liebe schenken, als wenn wir sie ihm versagen. Allein da er uns liebt, so hegt er, wie der heilige Thomas bemerkt, ein solches Verlangen nach unserer Gegenliebe, daß es scheinen könnte, er erblicke in dem Menschen seinen Gott und es hänge seine eigene Glückseligkeit von der des Menschen ab. Staunend rief darum der fromme Job aus: „Was ist doch der Mensch, daß du ihn so hoch hältst? Warum doch hängst du dein Herz an ihn?“ 1) Ist es möglich, daß ein Gott Wert darauf legt, von einem Erdenwurm geliebt zu werden, ja, daß er dringend nach dieser Liebe verlangt? Es wäre für uns schon eine große Gnade gewesen, wenn Gott uns nur erlaubt hätte, ihn zu lieben. Wenn ein Untertan zu seinem König spräche: „Ich liebe dich, oh Fürst,“ so würde man dies für Selbstüberhebung halten. Wie würde man aber staunen, wenn der König zu dem Untertan spräche: „Ich will, daß  du mich liebst!“ So tief pflegen die Fürsten dieser Erde sich nicht herabzulassen. Jesus Christus jedoch, der König des Himmels, bittet uns dringend um unsere Liebe. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen.“ 2) Er verlangt sehnsüchtig danach, daß wir ihm unser Herz schenken. „Mein Sohn, gib mir dein Herz.“ 3) und wenn jemand ihn abweist, so geht er nicht von dannen, sondern er bleibt vor der Türe des Herzens, das ihm verschlossen ist, stehen; er klopft und bittet um Einlass. „Siehe, ich stehe vor der Türe und klopfe an.“ 4) Er nennt die Seele seine Schwester, seine Braut, und bittet sie, ihm zu öffnen. „Öffne mir, meine Schwester, meine Braut.“ 5) Mit einem Worte, er findet seine Wonne darin, von uns geliebt zu werden. Er freut sich, wenn eine Seele häufig zu ihm spricht: Mein Gott, ich liebe dich. Alles dies ist eine naturgemäße Folge der großen Liebe, die er zu uns trägt. Wer liebt, kann nicht umhin, nach Gegenliebe zu trachten; das Herz fühlt sich zum Herzen hingezogen: der Liebe kann nur durch Liebe Genüge geschehen. „Was anders,“ so fragt der heilige Bernhard, „veranlasst Gott den Herrn, uns zu lieben, als das Verlangen, von uns geliebt zu werden?“ Schon vor ihm hatte Gott selbst gesprochen: „Verlangt wohl dein Gott und Herr etwas anderes von dir, als daß  du ihn fürchtest und ihn liebest.“ 6) Um dieses Verlangen zu bekunden, stellt er sich uns unter dem Bilde eines Hirten dar: als dieser das verlorene Schäflein wiedergefunden, ladet er alle ein, sich mit ihm zu freuen; „freuet euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.“ 7) Er stellt sich uns dar unter dem Bilde eines Vaters, der dem reuigen verlorenen Sohne nicht nur verzeiht, sondern ihn zärtlich umarmt. Ferner erklärt er, ein jeder, der ihn nicht liebe, sei dem Tode verfallen. „Wer nicht liebt, der bleibt im Tode.“ 8) Wer ihm dagegen seine Liebe schenkt, den hält er enge mit sich vereinigt.“  Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott in ihm.“ 9) Sollten wir trotz so vieler Bitten, Drohungen und Verheißungen unsere Liebe einem Gott versagen, der so sehnlich verlangt, von uns geliebt zu werden?

 

Anmutungen und Gebete

Geliebtester Jesus, ich spreche zu dir, wie einst der heilige Augustinus: Du befiehlst mir, dich zu lieben, du drohst mir mit der Hölle, wenn ich diesen Befehlen nicht nachkomme. Allein wäre gerade das nicht die furchtbarste Hölle und das größte Unglück für mich, deiner Liebe beraubt zu sein? Willst du mir Furcht einflößen, so drohe mir nur damit, daß ich in der Folge leben müsste, ohne dich zu lieben; diese Drohung allein wird mich mehr schrecken, als tausend Höllen. Wenn die Verdammten, so fährt der heilige Augustin fort, dich, o Gott, lieben könnten, so würden sie mitten in den Flammen der Hölle sich wie in einem Paradiese befinden; und umgekehrt wurde der Himmel für die Seligen zur Hölle, wenn es ihnen nicht vergönnt wäre, dich zu lieben. — Ich weiß wohl, mein geliebter Heiland, um meiner Sünden willen hätte ich es verdient, daß du dein huldvolles Antlitz von mir abwendetest und mich dazu verurteiltest, dich nicht mehr lieben zu können, aber ich höre, wie du trotzdem mir noch immer befiehlst, dich zu lieben, und ich fühle in mir ein großes Verlangen, dir meine Liebe zu weihen. Dieses Verlangen ist ein Geschenk deiner Gnade; du hast mir dasselbe eingeflößt; so verleihe mir denn auch die Kraft, dasselbe ins Werk zu setzen; gib, daß ich von heute an mit aufrichtigem Gemüte und aus tiefstem Herzensgrunde dir die Beteuerung aussprechen und dieselbe immerfort wiederholen möge: mein Gott, ich liebe dich, ich liebe dich. Du wünschest sehnlichst, daß ich dich liebe, und ich hege das innigste Verlangen, von dir geliebt zu werden. Vergiss also, mein Jesus, das Missfallen, das ich dir einst verursacht habe; in Zukunft soll uns ein unauflösliches Liebesband verbinden; ich werde nie mehr von dir lassen, und du wirst dich nie mehr von mir abwenden. Immerdar wirst du mich lieben, und immerdar werde ich dich lieben. Mein teuerster Heiland, auf deine Verdienste setze ich meine Hoffnung. Bewirke, ich bitte dich flehentlich, daß ein Sünder, der dich schwer beleidigt hat, dich ohne Unterlass und aus ganzem Herzen liebe. Unbefleckte Jungfrau Maria, stehe mir bei und lege bei Jesus Fürsprache für mich ein.

1) Joh 1, 17 — 2)Mt 22, 37 —3) Sprichw 23, 26 — 4) Offb 3, 20 — 5) Hohel 5, 20 — 6) 5. Mos 10, 12 — 7) Lk 15, 6 — 8) 1 Joh 3, 14 — 9) Joh 4,16

 

Vierte Betrachtung

Das schmerzerfüllte Herz Jesu

Wenn wir bedenken, was alles das Herz Jesu hier auf Erden um unsertwillen gelitten hat, da können wir uns unmöglich des Miteidens erwehren. Wie wir aus den eigenen Worten des göttlichen Heilandes ersehen, stieg die Betrübnis, die sein Herz erfüllte, bis zu einem solchen Grade, daß sie hinreichend gewesen wäre, ihm das Leben zu nehmen; nur die Kraft seiner Gottheit verhinderte auf wunderbare Weise, daß er vor innerm Schmerze starb. „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod.“ 1) Was das Herz Jesu am meisten betrübte, war nicht der Gedanke an die grausame und schmachvolle Behandlung, die ihm von Seiten der Menschen bevorstand, es war der Hinblick auf den Undank, mit dem seine grenzenlose Liebe von ihnen erwidert werden sollte. Er sah deutlich alle die Sünden voraus, welche wir ungeachtet seines bitteren Leidens und seines qualvollen, schimpflichen Todes begehen würden. Er sah insbesondere voraus, welch schmähliche Unbilden seinem anbetungswürdigen Herzen, das er uns im Allerheiligsten Altarssakramente als ein Denkmal seiner Liebe zurücklassen wollte, widerfahren würden. Ach, welch empörende Verunglimpfungen musste sich der göttliche Heiland in diesem Sakramente der Liebe von den Menschen gefallen lassen! Hat man doch die heiligen Hostien mit Füßen getreten, sie in den Kot geworfen, sich ihrer zu abergläubischen Zwecken bedient und sie somit dem Teufel geopfert! Und doch hat der Hinblick auf diese Gräuel Jesus nicht abgehalten, uns jenes erhabene Unterpfand seiner Liebe zu hinterlassen. So groß auch sein Abscheu vor der Sünde ist, so scheint seine Liebe zu uns doch noch größer zu sein; denn lieber lässt er sich die schrecklichsten Sakrilegien gefallen, als daß  er die Seelen, welche ihn lieben, jener himmlischen Speise beraubte. Sollten wir uns trotz alledem noch weigern, ein Herz zu lieben, welches uns so viele Liebesbeweise gegeben hat? Hat etwa Jesus Christus noch immer nicht genug getan, um unsere Liebe zu verdienen? Werden wir noch immer in unserm Undank verharren und den göttlichen Heiland auf dem Altare allein lassen, wie dies die meisten Menschen tun? Wollen wir uns nicht vielmehr jener kleinen Zahl frommer Christen zugesellen, die ihn hoch schätzen und die von Liebe zu ihm verzehrt werden gleich den Kerzen, welche vor dem Tabernakel brennen? Auf dem Altare thront das Herz Jesu, glühend von Liebe zu uns Menschen, und wir sollten in seiner Gegenwart nicht von Liebe zu Jesus entbrennen?

 

Anmutungen und Gebete

Anbetungswürdiger und geliebtester Jesus, siehe hier zu deinen Füßen einen Unglücklichen, der deinem liebenswürdigsten Herzen große Betrübnis verursacht hat! Ach, wie konnte ich doch jenes Herz so tief kränken, welches mich so innig geliebt und kein Opfer gescheut hat, um meine Gegenliebe zu gewinnen! Doch zu deinem Troste — erlaube mir, geliebtester Heiland, so zu reden — mögest du wissen, daß mein Herz jetzt durch deine Gnade gerührt und von Liebe zu dir verwundet ist; es empfindet über das Missfallen, welches es dir bereitet hat, eine solche Reue, daß es vor Schmerz sterben möchte. Das doch meine Sünden mir einen ähnlichen Schmerz verursachen möchten, wie dir, als du noch auf Erden wandeltest! Ewiger Vater, ich opfere dir den Abscheu und die Seelenqualen auf, die dein Sohn über meine Sünden empfand. Verleihe mir, ich bitte dich, eine solche Reue über meine Sünden, daß ich dieselben zeitlebens beweine und im Bewusstsein, deine Freundschaft eine Zeitlang verachtet zu haben, mich vor Schmerz verzehre. Und du, mein Jesus, flöße mir für alle Zukunft einen solchen Hass der Sünde ein, daß ich auch die kleinsten Fehler verabscheue. Erhalte in mir das Bewusstsein, daß meine Fehler dich betrüben und daß  du mit Recht erwarten darfst, von mir weder in wichtigen noch in geringfügigen Dingen gekränkt zu werden. Es gebührt dir vielmehr eine unbegrenzte Liebe. Geliebtester Heiland, ich verabscheue jetzt alles, was dir missfällt; ich nehme mir vor, in Zukunft meine Liebe auf dich allein und auf das, was du liebst, zu beschränken. Unterstütze mich dabei mit deiner göttlichen Kraft; verleih mir die Gnade, dich stets anzurufen und allzeit die Bitte zu wiederholen: Mein Jesus, gib, daß ich dich liebe, gib, daß ich dich liebe, gib, daß ich dich liebe! Und du, oh Maria, erflehe mir die Gnade, stets zu dir meine Zuflucht zu nehmen und auszurufen: Oh Mutter, bewirke, daß ich Jesus liebe!

1) Mk 14, 34

 


 

Fünfte Betrachtung

Das mitleidige Herz Jesu

Könnte es wohl ein mitleidigeres, zärtlicheres Herz geben, als das Herz Jesu? Wäre wohl ein Herz denkbar, daß an unserm Elend einen innigeren Anteil nähme, als das seinige? Das Mitleid mit uns bewog ihn, vom Himmel auf die Erde herabzusteigen. Diesem Mitleid gab er Ausdruck, als er sagte, er sei der gute Hirte, der sein Leben für seine Schafe hingebe. Um uns Sündern Verzeihung zu erwirken, setzte er alle Rücksicht auf sich selbst beiseite; er unterzog sich den Strafen, die wir verdient hatten, er brachte sich selbst auf dem Holze des Kreuzes als Opferlamm dar. Das innigste Mitleid mit uns bekundet er noch heute, indem er uns zuruft: „Warum wollet ihr sterben, ihr Kinder des Hauses Israel? Bekehret euch und lebet.“ 1) Mit anderen Worten: Ihr armen Menschen, meine geliebten Kinder, warum wollet ihr euch ins Verderben stürzen, indem ihr vor mir fliehet? Sehet ihr nicht, daß ihr auf diese Weise dem ewigen Tode entgegeneilt? Ich will nicht, daß ihr zugrunde gehet; fasset Mut; kehret zu mir zurück, und wisset, in jedem Augenblicke seid ihr mir willkommen, bei mir werdet ihr das Leben wiederfinden. „Kehret zurück und lebet.“ Dasselbe Mitleid mit uns legt er an den Tag, wenn er sich mit einem liebenden Vater vergleicht; dieser hat von seinem Sohne eine schmähliche Behandlung erfahren, dennoch stößt er den reumütigen Sohn nicht von sich, sondern umarmt ihn zärtlich und vergisst alle erlittenen Unbilden. „Ich will all seiner Missetaten nicht mehr gedenken.“ 2) Hier auf Erden sind solche Gesinnungen nicht zu finden. Wenn auch die Menschen eine erlittene Beleidigung verzeihen, so vergessen sie dieselbe doch nicht und vermögen die Regungen der Rachsucht nicht gänzlich zu ersticken. Mag auch die Gottesfurcht sie abhalten, diesen Regungen Folge zu geben, so fühlen sie doch immer ein großes Widerstreben, mit denen vertraulich umzugehen, von welchen sie verunglimpft worden sind. Du dagegen, mein Jesus, verzeihest dem reuigen Sünder. Du trägst kein Bedenken, dich ihnen hier auf Erden in der heiligen Kommunion und im Jenseits in der himmlischen Glorie rückhaltlos hinzugeben; ohne das mindeste Widerstreben hältst du die Seele, welche dich beleidigt hat, die ganze Ewigkeit hindurch innig mit dir vereinigt. Könnte es wohl, geliebtester Heiland, ein liebenswürdigeres und mitleidigeres Herz geben, als das deinige?

 

Anmutungen und Gebetet

Mitleidiges Herz meines Jesus, habe Erbarmen mit mir! Ich rufe dir heute zu: Süßester Jesus, erbarme dich meiner! Verleihe mir, ich bitte dich, die Gnade, diese Worte stets zu wiederholen. Der vielen Gnaden, die du mir bisher erwiesen hast, bin ich niemals würdig gewesen, auch damals nicht, als ich dich noch nicht beleidigt hatte; ohne alles Verdienst von meiner Seite hast du mich erschaffen und mir so viele Erleuchtungen zuteil werden lassen. Um wie viel weniger war ich deiner Gunstbezeugungen würdig, nachdem ich dich beleidigt hatte; hatte ich doch dadurch verdient, von dir verlassen und in die Hölle verstoßen zu werden! Trotzdem hast du Mitleid mit mir gehabt; du hast mir, als ich im Stande der Sünde dahinlebte, Zeit zur Umkehr gelassen und mich am Leben erhalten; du hast mich erleuchtet, mir Verzeihung angeboten, mir Reue über meine Sünden eingeflößt: du hast in mir das Verlangen angeregt, dich zu lieben. Deinem Mitleid verdanke ich es, daß ich jetzt hoffen darf, mich in deiner Gnade zu befinden. Geliebtester Jesus, würdige mich auch in Zukunft stets deines Mitleides! Verleihe mir Licht und Kraft, damit ich nie mehr undankbar gegen dich werde: dies ist die Gnade, um die ich dich vor allem bitte. Ich erhebe nicht den Anspruch, von neuem deiner Barmherzigkeit teilhaftig zu werden, falls ich dir den Rücken kehren sollte; es wäre dies eine Vermessenheit, die dich hindern würde, mir noch fernerhin Gnade angedeihen zu lassen. Wie sollte ich in Zukunft noch auf dein Erbarmen rechnen dürfen, wenn ich so undankbar wäre, dir von neuem die Freundschaft aufzukündigen und mich von dir zu trennen? Nein, mein Jesus, ich liebe dich und bin entschlossen, dich immerdar zu lieben. Lass nicht zu, daß ich mich je wieder von dir trenne: um diese Gnade bitte ich dich, sie erwarte ich zuversichtlich von dir. Auch an dich, meine liebe Mutter Maria, wende ich mich mit der Bitte: lass nicht zu, daß ich meinem Gott je wieder untreu werde.

1) Ezech 18, 31 — 2) Ezech 18, 22

 

 

Sechste Betrachtung

Das freigebige Herz Jesu

Wer ein gutes Herz hat, der möchte gern alle glücklich machen, besonders jene, die von Kummer und Not am meisten heimgesucht sind. Wo wäre aber jemand zu finden, der ein so gutes Herz hätte, wie der göttliche Heiland, Jesus Christus? Seine Güte ist unendlich, sie flößt ihm das innigste Verlangen ein, uns am Genusse seiner Reichtümer teilnehmen zu sehen. „Bei mir sind Schätze, damit ich jene bereichere, die mich lieben.“ 1) Um uns zu bereichern, hat er für sich die Armut gewählt; „denn“, so sagt der Apostel, „um euretwillen ist er arm geworden, damit ihr durch seine Dürftigkeit reich würdet.“ 2) Aus demselben Grunde wollte er unter den sakramentalen Gestalten bei uns bleiben; teilt er doch, wie dies dem P. Balthasar Alvarez in einem Gesichte gezeigt wurde, in der heiligen Eucharistie seine Gnaden mit vollen Händen an alle aus, die ihn in diesem Geheimnisse besuchen. In der nämlichen Absicht schenkt er uns in der heiligen Kommunion sein ganzes Selbst. Er gibt uns dadurch zu erkennen, daß er, nachdem er uns ein solches Geschenk gemacht, mit seinen übrigen Gütern nicht zurückhaltend gegen uns sein werde. „Ist uns mit ihm nicht alles geschenkt worden.“ 3) Im Herzen Jesu finden wir also alle Güter und Gnaden, nach denen wir Verlangen tragen. „Mit allen Gütern seid ihr bereichert worden in Christo, so daß euch keine Gnade mangelt.“ 4) Dem Herzen Jesu verdanken wir auch alle Gnaden, die wir bisher empfangen haben: die Erlösung, die Berufung zum Christentume, die innern Einsprechungen, die Verzeihung unserer Sünden, die Kraft, in den Versuchungen standhaft zu bleiben und die Widerwärtigkeiten mit Geduld zu ertragen; denn ohne seine Hilfe wären wir nicht imstande gewesen, etwas Gutes zu tun. „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ 5) spricht Christus der Herr, und er fügt hinzu: Wenn ihr bisher kein reichlicheres Maß an Gnaden erhalten habt, so schreibet euch selbst die Schuld davon zu; denn ihr habt es versäumt, mich um Gnaden zu bitten. „Bis jetzt habt ihr noch um nichts gebeten; bittet, und ihr werdet empfangen.“ 6) Wie reich und wie freigebig erweist sich das Herz Jesu gegen alle, die zu ihm ihre Zuflucht nehmen! „Reich ist er für alle, die ihn anrufen.“ 7) Wie groß sind seine Erbarmungen gegen jene Seelen, welchen es eine Herzensangelegenheit ist, ihn um seine Gnaden zu bitten. „Du, oh Herr,“ so ruft der königliche Prophet aus, „bist gütig und milde und voll der Barmherzigkeit gegen alle, die dich anrufen.“ 8) Nehmen wir darum stets zum Herzen Jesu unsere Zuflucht, tragen wir ihm unsere Anliegen mit Vertrauen vor, und wir werden alles erlangen.

 

Anmutungen und Gebete

Mein Jesus, du hast kein Bedenken getragen, dein Blut und Leben für mich hinzugeben, und ich sollte mich weigern, dir mein armseliges Herz zu schenken? Nein, mein liebenswürdiger Heiland, ich bringe es dir ganz und ungeteilt zum Opfer. Ich lege meinen Willen ganz in deine Hände. Ich bitte dich, nach deinem Wohlgefallen über mich zu verfügen. Wenn ich auch sonst nichts habe und nichts vermag, so habe ich doch wenigstens dieses Herz, welches du mir gegeben hast, dieses Herz kann mir niemand rauben. Mag ich auch Hab und Gut, Blut und Leben verlieren, mein Herz bleibt mir immer, und mit diesem Herzen kann und will ich dich lieben. Ich will mich selbst ganz und gar vergessen; lehre du mich, oh Gott, wie ich dies bewerkstelligen kann. Deine Güte hat mir das Verlangen eingeflößt, dich mit reiner Liebe zu umfangen; sage mir, was ich tun muss, um dieses Glückes teilhaftig zu werden. Ich fühle in mir den entschiedenen Willen, stets so zu handeln, wie es dir gefällt; an dir ist es, mir zur Ausführung meines Entschlusses behilflich zu sein, eine Gnade, um welche ich dich inständig bitte, und die ich zuversichtlich von dir erwarte. Liebendes Herz meines Jesu, dir kommt es zu, mein armseliges Herz, welches bisher undankbar gegen dich gewesen ist und aus eigener Schuld deiner Gnade beraubt war, ganz zu deinem Eigentum zu machen. Bewirke, daß, wie dein Herz von Liebe zu mir entbrannt ist, so auch mein Herz von Liebe zu dir verzehrt werde. Vereinige meinen Willen aufs innigste mit dem deinigen, so daß  ich nichts anderes mehr will, als was du willst. Von heute an sei dein Wille die Richtschnur all meines Handelns, Denkens und Begehrens. Ich hoffe, oh Gott, du werdest mir durch deine Gnade helfen, den Vorsatz, den ich heute vor deinem Angesichte fasse, auszuführen und sowohl im Leben als im Tode mich allem bereitwillig zu unterwerfen, was du über mich und mein Eigentum bestimmen wirst. Unbefleckte Jungfrau Maria, wie glücklich bist du zu preisen, daß dein Herz dem Herzen Jesu allzeit gleichförmig war! Erwirke du, geliebteste Mutter, mir die Gnade, daß ich in Zukunft nichts wolle oder wünsche, was nicht mit dem Willen Jesu und dem deinigen übereinstimmt.

1) Sprichw 8, 21 — 2) 2. Kor 8, 9 — 3) Röm 8, 32 — 4) Kor 1, 7 — 5) Joh 15, 5 — 6) Joh 16, 24 — 7) Röm 10, 12

 

Siebente Betrachtung

Das dankbare Herz Jesu

Das Herz Jesu ist überaus dankbar. Jedes, auch das geringste gute Werk, das wir aus Liebe zu ihm verrichten, jedes Wörtlein, das wir zu seiner Ehre sprechen, jeder Gedanke, den wir fassen, um ihm wohlzugefallen, trägt uns eine besondere Belohnung von ihm ein. Noch mehr; dieses Herz ist so dankbar, daß es alles hundertfach vergilt. „Ihr werdet Hundertfältiges dafür empfangen.“ 1) Wenn die Menschen sich für eine empfangene Wohltat dankbar erzeigen, so tun sie dies in der Regel nur einmal, sie entledigen sich, wie man zu sagen pflegt, ihrer Verbindlichkeit, und denken dann nicht weiter an das Geschehene. Ganz anders handelt Jesus Christus mit uns; jedes gute Werk, daß wir aus Liebe zu ihm verrichten, vergilt er nicht nur hundertfältig in diesem Leben, sondern auch unzählige Male im Jenseits, wo wir uns die ganze Ewigkeit hindurch in jedem Augenblick seiner Belohnung erfreuen. Sollte darum nicht ein jeder angelegentlich darauf bedacht sein, allen Wünschen eines so dankbaren Herzens nach Kräften zu entsprechen? Aber ach, wie wenig ist den Menschen daran gelegen, Jesu Christo zu gefallen! Oder vielmehr, um von uns selbst zu reden, wie ist es doch möglich, daß wir gegen unsern Heiland so undankbar sind? Hätte er um unsers Heiles willen auch nur einen einzigen Blutstropfen oder eine einzige Träne vergossen, so wären wir ihm schon zu unendlichem Dank verpflichtet, denn dieser Blutstropfen und diese Träne hätten vor Gott einen unendlichen Wert und wären hinreichend, uns jegliche Gnade zu erwirken. Allein Christus der Herr wollte alle Augenblicke seines Lebens zu unserem Besten verwenden; er hat uns alle seine Verdienste zum Geschenk gemacht; er hat alle Schmerzen und alle Schmach, die er erduldete, all sein Blut und selbst sein Leben für uns geopfert. Er hat also nicht einen, sondern unendlich viele Ansprüche auf unsere Liebe. Und dennoch sind wir undankbar gegen ihn, wir, die wir uns selbst gegen die Tiere dankbar erzeigen; können wir doch nicht umhin, ein Hündlein zu streicheln, das Anhänglichkeit gegen uns an den Tag legt. Die Wohltaten Gottes werden von den Menschen anstatt mit Dank und Liebe, nur mit Verunglimpfungen und Beleidigungen erwidert. Es möchte fast scheinen, als ob diese Wohltaten, wenn sie an die Menschen gelangen, ihre Natur änderten und sich in Unbilden verwandelten. Oh Gott, erleuchte diese Undankbaren, so daß sie erkennen, wie du sie liebst.

 

Anmutungen und Gebete

Geliebtester Jesus, siehe mich Undankbaren hier zu deinen Füßen. Den Geschöpfen gegenüber habe ich mich dankbar gezeigt; nur gegen dich bin ich undankbar gewesen, der du doch für mich gestorben bist und unmöglich mehr hättest tun können, um mich zu verpflichten, dich zu lieben. Doch mich tröstet und ermutigt der Gedanke, daß das Herz, das ich gekränkt habe, ein Herz voll unendlicher Güte und Barmherzigkeit ist; ein Herz, das beteuert, es werde alle ihm zugefügten Unbilden vergessen, sobald der Sünder mit Reue und Liebe zu ihm zurückkehre. Mein süßester Jesus, wenn ich dich früher beleidigt und verachtet habe, so liebe ich dich doch jetzt über alles; ich liebe dich mehr als mich selbst. Sage mir nur, was du von mir verlangst; ich bin bereit, es mit Hilfe deiner Gnade zu tun. Ich glaube, mein Jesus, daß du mich erschaffen und dein Blut und Leben für mich dahingegeben hast; ich glaube, daß du um meinetwillen unter den sakramentalen Gestalten hier auf Erden zurückgeblieben bist. Für alles das danke ich dir, mein geliebtester Heiland. Lass nicht zu, daß ich nach so großen Wohltaten und Liebesbeweisen mich jemals wieder undankbar gegen dich zeige. Vereinige mich aufs innigste mit deinem Herzen. Gib nicht zu, daß ich dir in der Folge nochmals Missfallen und Betrübnis verursache. Lange genug habe ich dich beleidigt; von jetzt an will ich dich lieben. Könnte ich doch die verflossenen Jahre meines Lebens wieder zurückrufen! Aber ach, sie kehren nicht wieder, und die Lebenszeit, welche mir noch erübrigt, ist nur kurz! Doch mögen mir noch viele oder nur wenige Tage beschieden sein, ich will sie alle einzig dazu benutzen, dich zu lieben, der du als das höchste Gut einer ewigen und unendlichen Liebe würdig bist. Geliebte Mutter Maria, lass nicht zu, daß ich gegen deinen Sohn je wieder undankbar werde; lege bei Jesus Fürsprache für mich ein.

1) Mt 19,29

 

Achte Betrachtung

Das verachtete Herz Jesu

Ein liebendes Herz kann nicht empfindlicher gekränkt werden, als dadurch, daß seine Liebe mit Verachtung erwidert wird, zumal wenn es sich um ein Herz handelt, das seine Liebe in auffallender Weise an den Tag gelegt hat und sie nun mit schmählichem Undank vergolten sieht. Wenn alle Menschen auf ihre Habe verzichteten, sich in einer Einöde zurückzögen, nur mehr von Kräutern lebten, auf bloßer Erde schliefen, ihren Leib durch Bußwerke peinigten und sich schließlich um Jesu Christi willen zu Tode martern ließen: würden sie wohl dadurch dem Sohne des ewigen Vaters einen Ersatz dafür bieten können, daß er aus Liebe zu ihnen so viele Qualen erduldet und sein Blut und Leben für sie dahingegeben hat? Gesetzt, wir gingen tausendmal in den Tod, so würden wir dadurch doch in keiner Weise die Liebe vergelten können, die uns Jesus Christus bewies, indem er sich uns im heiligsten Altarssakramente schenkte. Ein Gott verbirgt sich da unter die Gestalt von Brot und gibt sich seinen Geschöpfen zur Speise! Aber ach, wo ist der Lohn, wo die Dankbarkeit, die er von den Menschen empfängt? Sie lohnen ihn damit, daß sie ihn misshandeln, seine Lehren und Gebote verachten, ihn auf eine Weise beleidigen, wie sie es nicht einmal gegenüber einem Feinde, einem Sklaven oder dem verächtlichsten Menschen der Welt tun würden. Können wir ohne Schmerz an alle die Unbilden denken, die der göttlicher Heiland schon erfahren hat und noch tagtäglich erfährt? Müssen wir nicht darauf bedacht sein, die unendliche Liebe seines göttlichen Herzens mit Gegenliebe zu erwidern? Ist doch sein Herz im heiligsten Sakramente ganz entflammt von Liebe zu uns und ganz durchdrungen von dem Verlangen, uns seine Schätze, ja, sich selbst mitzuteilen. Ist doch der göttliche Heiland bereit, uns, so oft wir ihm nahen, den Zutritt zu seinem heiligsten Herzen zu gestatten. „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ 1) Wir sind zu sehr daran gewöhnt, von der Schöpfung, der Menschwerdung, der Erlösung, von der Geburt Jesu in einem Stalle, von seinem Tod am  Kreuze reden zu hören. Wenn ein gewöhnlicher Mensch uns auch nur eine einzige dieser Wohltaten erwiesen hätte, so würden wir ihm unsere Liebe nicht versagen können. Nur Gott hat, wenn man so sagen darf, das Missgeschick, daß er sich die Liebe der Menschen nicht erwerben kann, obschon er doch zu diesem Ende alles getan hat, was er tun konnte. Anstatt Liebe wird ihm sogar Verachtung und Geringschätzung zuteil. Alles dies kommt daher, daß die Menschen vergessen, wie sehr Gott sie geliebt hat.

 

Anmutungen und Gebete

Oh Herz meines Jesus, du Abgrund der Liebe und Barmherzigkeit, wie kommt es doch, daß ich, angesichts deiner Liebe zu mir und meines Undankes gegen dich, nicht vor Schmerz sterbe? Du, mein Erlöser, hast mich ins Dasein gerufen; du hast dein Blut und Leben für mich zum Opfer gebracht, indem du dich um meinetwillen der Schmach und dem Tode preisgabst. Damit noch nicht zufrieden, wusstest du in der heiligen Eucharistie das Mittel zu finden, dich täglich von neuem für mich aufzuopfern. Du trägst kein Bedenken, dich all den Unbilden auszusetzen, welche dir in diesem Sakramente der Liebe widerfahren. Mein Heiland, wie kann ich doch das Bewusstsein meiner Undankbarkeit gegen dich ertragen, ohne vor Scham zu vergehen? Mache doch meinem Undanke dadurch ein Ende, dass du mein Herz mit Liebe verwundest. Bewirke, daß ich ganz dein eigen werde. Gedenke des Blutes und der Tränen, die du für mich vergossen hast, und gewähre mir Verzeihung meiner Sünden. Lass doch die vielen Schmerzen, die du um meinetwillen erlitten hast, nicht verloren sein. Ich bin freilich undankbar gegen dich gewesen und habe mich deiner Liebe unwürdig gemacht; ich habe dich nicht geliebt und auch nicht einmal Verlangen gehabt, von dir geliebt zu werden. Trotzdem hast du nicht aufgehört, mich zu lieben. Um wie viel mehr darf ich jetzt hoffen, daß du mich lieben werdest, da ich nichts sehnlicher wünsche und verlange, als dich zu lieben und von dir geliebt zu werden! Befriedige dieses mein Verlangen, oder vielmehr befriedige das deinige; denn du bist es ja, der mir jenes Verlangen eingegeben hat. Mache den heutigen Tag zum Tage meiner vollkommenen Bekehrung; gib, daß ich heute anfange, dich, das höchste Gut, zu lieben, und daß  ich von dieser Liebe nie mehr ablasse. Bewirke, daß ich mir selbst gänzlich absterbe, um nur mehr für dich zu leben und immer von Liebe zu dir zu entbrennen. Geliebteste Mutter Maria, auf dem Altare deines Herzens brannte stets dieses Feuer heiliger Gottesliebe; erwirke mir die Gnade, dir ähnlich zu werden, erflehe sie mir von deinem Sohne, dem es gefällt, dich besonders dadurch zu ehren, daß er dir keine Bitte abschlägt.

1) Joh 6, 37

 

Neunte Betrachtung

Das getreue Herz Jesu

Wie getreu ist das edle Herz Jesu gegen jene, die es zu seiner heiligen Liebe beruft! „Getreu ist der, welcher euch berufen hat; er wird das Werk auch vollbringen.“ 1) Die Treue Gottes ermutigt uns, alles von ihm zu hoffen, obschon wir nichts verdienen. Wenn wir ihn aus unserm Herzen vertrieben haben, so brauchen wir ihm nur die Türe zu öffnen, und er wird sofort wieder bei uns einkehren, wie er es uns mit den Worten verheißen hat: „Wenn jemand mir die Türe öffnet, so werde ich bei ihm einkehren und Mahlzeit mit ihm halten.“ 2) Wünschen wir Gnaden zu empfangen, so genügt es, Gott den Herrn im Namen Jesu Christi um dieselben zu bitten; denn der göttliche Heiland hat versprochen, unsere Bitte werde erhört werden. „Wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bittet, so wird er es euch geben.“ 3) Werden wir von Versuchungen bestürmt, so bauen wir getrost auf seine Verdienste; er wird nicht zulassen, daß die Anfechtungen der Feinde unsere Kräfte übersteigen. „Gott ist getreu; er wird euch nicht über eure Kräfte versuchen lassen.“  4) Wie verschieden ist die Handlungsweise Gottes von der der Menschen! Wie oft kommt es vor, daß die Menschen etwas versprechen und nachher ihr Wort nicht halten, sei es, daß sie es mit dem Versprechen nicht ernstlich meinten, sei es, daß sie später ihre Gesinnungen änderten! Von Gott dem Herrn dagegen sagt die Heilige Schrift: „Er ist nicht wie ein Mensch, daß er Lüge; nicht wie eines Menschen Sohn, daß er sich ändere.“ 5) Gott ist in Bezug auf seine Verheißungen weder einer Untreue fähig, da er, als die Wahrheit selbst, nicht lügen kann, noch auch kann er seine Gesinnung ändern, denn alles, was er einmal beschlossen hat, ist gut und gerecht. Nun hat er aber versprochen, jeden aufzunehmen, der sich an ihn wendet, jedem beizustehen, der ihn um Hilfe anruft; jeden zu lieben, von dem er selbst geliebt wird. Sollte er es also an der Erfüllung dieser Verheißung fehlen lassen? „Er hat gesprochen, und der sollte nicht demgemäß handeln?“ 6) Wären wir doch, Gott gegenüber, so getreu, wie er es gegen uns ist! Wie oft haben wir ihm schon versprochen, ihm ganz anzugehören, ihm zu dienen und ihn zu lieben, haben uns aber dann des Treuebruches schuldig gemacht, den Dienst Gottes verlassen und uns in die Knechtschaft des Teufels begeben! Bitten wir den Herrn, er möge uns stärken, damit wir ihm in Zukunft stets die Treue bewahren. Wohl uns, wenn wir die wenigen Gebote, die er uns gibt, gewissenhaft beobachten! Er wird uns alsdann, seinen Verheißungen getreu, überreichlich belohnen und uns dereinst die Worte vernehmen lassen, die er an jedem seiner treuen Diener zu richten versprochen hat: „Wohlan, du guter und getreuer Knecht, weil du über weniges getreu gewesen bist, will ich dich über vieles setzen; gehe ein in die Freude deines Herrn.“ 7)

 

Anmutungen und Gebete

Geliebtester Erlöser, wäre ich doch gegen dich stets so treu gewesen, wie du es mir gegenüber gewesen bist! So oft ich dir die Türe meines Herzens öffnete, bist du in dasselbe eingekehrt, hast mir verziehen und mich wieder zu Gnaden aufgenommen. So oft ich deinen Beistand anrief, bist du mir zu Hilfe geeilt. Du bist mir stets treu geblieben; ich dagegen habe dir die Treue nur zu oft gebrochen. Ich hatte gelobt, dir zu dienen, habe dir aber oft den Rücken gekehrt. Ich hatte versprochen, dich zu lieben, habe dir aber meine Liebe sehr häufig versagt, wie wenn du, mein Schöpfer und Erlöser, weniger Liebe verdientest, als die Geschöpfe und die elenden Genüsse, um derentwillen ich dich verlassen habe. Verzeihe mir, mein Jesus; ich erkenne und verabscheue die Undankbarkeit, deren ich mich gegen dich schuldig gemacht habe. Ich erkenne, daß du, als die unendliche Güte, über alles geliebt zu werden verdienst, besonders von mir, da du mich trotz all der Unbilden, die ich dir zugefügt habe, dennoch so sehr geliebt hast. Wie traurig wäre mein Los, wenn ich mein Seelenheil verscherzte! Die Gnaden, die du mir verliehen, und die Beweise besonderer Huld, deren du mich gewürdigt hast, würden in der Hölle die ärgerlichsten meiner Qualen ausmachen. Doch das sei ferne, geliebtester Heiland! Habe Erbarmen mit mir und lass nicht zu, daß ich mir durch abermalige Untreue gegen dich die gerechte Strafe zuziehe, in die Hölle gestürzt zu werden, wo ich deine Liebe mit Haß und unaufhörlichen Lästerungen erwidern müsste. Liebendes und getreues Herz Jesu, bewirke, daß mein Herz von Liebe zu dir entbrenne, wie du von Liebe zu mir entbrannt bist. Ich glaube sagen zu können, mein Jesus, daß ich dich jetzt liebe; aber meine Liebe ist nur gering. Verleihe du mir die Gnade, dich innig zu lieben und dir bis zu meinem Tode treu zu bleiben. Ich bitte dich inständig um diese Gnade und füge die weitere Bitte hinzu, du mögest bewirken, daß ich unablässig um diese Gnade zu dir flehe. Laß mich lieber sterben, als daß  ich dir von neuem untreu werde. Geliebteste Mutter Maria, stehe mir bei, damit ich deinem Sohne immerdar treu bleibe.

1) 1. Thess 5, 24 — 2) Offb 3, 20 — 3) Joh 14, 13 — 4) 1. Kor 10, 13 — 5) 4. Mos 23, 19 — 6) 4. Mos 23, 19 —  7) Mt 25, 21