319. Der Oktavtag des Osterfestes

(Joh 20)

 

I Der Unglaube des Thomas

Einer von den Zwölfen, Thomas mit dem Beinamen Didymus, war nicht dabei, als Jesus kam. Die andern jünger sagten ihm nun: «Wir haben den Herrn gesehen.» — Acht Tage darauf waren die Jünger wieder in dem Hause, und Thomas war bei ihnen.

Kehre zum Abendmahlssaal zurück, um mit den Aposteln den achten Tag des Osterfestes zu feiern. Bitte den Heiligen Geist, daß Er in dir die Freude dieses großen Tages erneuere! — Die Jünger erwarten den Meister. Ihr Glaube hat sich gekräftigt, ihr Eifer entzündet. Sie haben viel zusammen gebetet und sich gegenseitig erbaut; sie haben sich Maria, der Mutter der Gläubigen, anempfohlen. Sie sind eins in der Liebe zu ihrem Erlöser.

Beachte den ungläubigen Apostel in ihrer Mitte! Es bleibt dem Herrn noch eine Seele zu gewinnen. Hienieden gibt es keine vollkommene Einigkeit; überall schleichen sich kleine Meinungsverschiedenheiten ein. Warum war Thomas bei der ersten Erscheinung abwesend? War es aus Nachlässigkeit, Menschenfurcht, Niedergeschlagenheit? Oder beschäftigte er sich mit eigenen Angelegenheiten? Niemand weiß es; aber deutlich geht daraus hervor, daß man viel verliert, wenn man sich von der Gemeinschaft der Gläubigen absondert und eigene Wege geht.

Worin besteht das Unrecht des ungläubigen Apostels? Seine Worte lassen es uns erkennen. «Wenn ich an seinen Händen nicht das Mal der Nägel sehen und meinen Finger nicht in die Stelle der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite legen kann, glaube ich nicht.» Er gehört zu jenen, die nur ihrer eigenen Erfahrung glauben, den Gegenstand ihres Glaubens mit den Augen sehen, mit dem Finger berühren wollen. Das ist eine große Täuschung, denn das ist kein göttlicher Glaube. Man muß glauben, was Gott sagt und weil Er es sagt. Gott Bedingungen zu stellen, um an sein Wort zu glauben, ist große Anmaßung. Was das Verdienst des Glaubens ausmacht, ist das Opfer des eigenen Urteils und jeder rein menschlichen Anschauung. Im übernatürlichen Glauben, der sich ganz Gott öffnet und anheimstellt, liegt die wahre Frömmigkeit, der wahre Geistesadel und die wahre Seelengröße. Bete von Herzen um Erleuchtung für jene, die sich weigern zu glauben.

 

II Jesus veranlaßt Thomas zum Bekenntnis seiner Gottheit

Da kam Jesus bei verschlossenen Türen und trat in ihre Mitte mit den Worten: «Friede sei mit euch!»

Der Meister sucht seinen Jünger auf. Er hat ihn gesehen und gehört und will ihn nun heimsuchen. Alles, was Jesus von seinen Feinden erduldet hat, hat seine Liebe zu den Sündern nur noch vergrößert. Wenn eine Seele in Gefahr ist unterzugehen, eilt Er ihr zu Hilfe. Er scheut keine Mühe, um die Seelen zu gewinnen, die Ihn soviel gekostet haben. Er kommt zu seinem Apostel, um dessen Mißtrauen zu beseitigen und dessen Zweifel zu lösen.

Betrachte diesen Vorgang, in dem die göttliche Barmherzigkeit Jesu sich so herrlich offenbart. Dann sprach Er zu Thomas: «Leg deinen Finger hierher und sieh meine Hände. Reich deine Hand her und leg sie in meine Seite und sei nicht mehr ungläubig, sondern gläubig!» Der Heiland fordert seinen halsstarrigen Jünger auf, mit eignen Augen die Wahrheit seiner Auferstehung festzustellen. «Hier sind meine Hände, hier ist meine Seite. Schau her, betaste sie und überzeuge dich!»

Es ist das größte Entgegenkommen des Meisters gegen seinen Jünger. Er könnte ihn streng zurechtweisen und bestrafen. Er zieht es jedoch vor, nachzugeben und sich der Schwäche des Ungläubigen anzupassen. — «Ich bin derjenige, den du am Kreuz gesehen hast und dessen Seite mit der Lanze durchbohrt worden ist. Ich bin es, der dich im Abendmahlssaal getröstet hat und den du so mutig zum Grab des Lazarus begleitet hast. Erkenne mich, und du wirst den Frieden und die Freude deiner Brüder teilen!»

Höre das Bekenntnis des bekehrten Apostels, der von der Güte des Herrn übermannt ausruft: «Mein Herr und mein Gott!» Wie selig ist er, Ihn wiederzufinden, den er verloren glaubte! Es ist ein Ruf voll Glauben, Liebe und Reue. «Ich erkenne dich als meinen Gott, ich erwähle dich zu meinem Herrn und Meister. Deine Wunden offenbaren mir deine unendliche Liebe, deine göttliche Weisheit und deine unvergleichliche Güte. Ich sehe, ich glaube, ich weihe mich dir unwiderruflich.» — Vereinige deine Huldigung mit der des Apostels; wiederhole aus ganzer Seele: «Mein Herr und mein Gott!»

Das Schlußwort Jesu in diesem ergreifenden Geschehen ist an dich gerichtet. Du hast wohl im Grund deines Herzens gedacht: «Glücklich diejenigen, die den Heiland gesehen haben.» Jesus aber sagt: «Selig, die nicht sehen und doch glauben!» Bitte Ihn um Verständnis dieser Lehre. Was der Seele des Menschen Frieden bringt, ist also nicht die zweifelhafte Sicherheit seiner Vernunftschlüsse, nicht das, was die Sinne feststellen, sondern einzig die Überzeugung des Glaubens, welche sich nur auf das Wort Gottes stützt. Bete innig um Vermehrung deines Glaubens.