304. Die letzten Worte Jesu

(Joh 19, Mt 27, Mk 15)

 

I Jesus klagt über Durst

Jesus wußte, daß nunmehr alles vollbracht war. So sagte Er darnach, damit die Schrift erfüllt würde: «Mich dürstet.» Ein Gefäß voll Essig stand da. Man steckte nun einen Schwamm voll Essig auf einen Hysopstengel und brachte ihn an seinen Mund.

Vernimm die sanfte Klage des Heilands: «Mich dürstet!» Was bedeutet dieser Durst am Kreuz? Jesus dürstet nach dem Heil der Seinigen. Sie weilen zwar nur in kleiner Zahl am Fuß des Kreuzes, doch sein Blick durchdringt die Jahrhunderte und sieht alle, für die Er sein Leben gibt. Sein Herz brennt vor Verlangen, sie der Wohltat der Erlösung teilhaftig zu machen. Auch dir gilt sein Ruf: «Mich dürstet!» Findest du kein Mittel, seinen Durst zu stillen und die Glut seines Verlangens durch großmütige Hingabe zu lindern? Schenke Ihm dich selbst und die dir anvertrauten Seelen!

Betrachte auch, was dich diese Klage lehren will. Denke an alle, die Mangel leiden, während du im Überfluß lebst! Im Namen des dürstenden Heilands am Kreuz wirst du den Armen nicht mehr das Glas Wasser verweigern. Präge deinem Herzen die leidensvollen Züge deines Heilands ein, um Ihn in denen, die sich an deine Mildtätigkeit wenden, wiederzuerkennen. Dem Heiland gibt man, was man um seiner Liebe willen dem geringsten seiner Brüder reicht. Versprich deinem Erlöser, daß du in der Person der Armen für Ihn Sorge tragen willst, um einst aus seinem Mund das tröstliche Wort zu hören: «Ich war durstig, und du hast mich getränkt.»

O meine Seele, komm, erquicke deinen Erlöser, bereite Ihm statt des Essigs, mit dem du Ihn nur zu oft getränkt hast, aus Tränen der Reue und Liebe einen süßen Trank, der seinen Schmerz lindert!

 

II Jesus verkündet, daß sein Lebenswerk vollbracht sei

Als Jesus den Essig genommen hatte, sprach Er: «Es ist vollbracht. »

Betrachte dieses Wort des göttlichen Erlösers, das sein ganzes Leben zusammenfaßt! «Es ist vollbracht!» ruft Er aus. Er ist am Ziel seiner Laufbahn, am Ende seines Lebens. Er hat die letzte Bitterkeit gekostet, und sein Opfer wird in wenigen Augenblicken vollendet sein. Alles ist vollbracht. Es wird keine neue Offenbarung, kein neues Evangelium, keinen neuen Erlöser mehr geben. Alles ist gesagt, alles ist getan, alles ist vollendet in Jesus Christus.

Alles ist vollbracht zum Heil der Guten, zur Verwerfung der Bösen. Das Geheimnis der Wiedergeburt des Menschengeschlechtes ist vollendet. Alles, was die göttliche Gerechtigkeit als Sühne verlangte, ist ihr geleistet worden. Mein Erlöser hat seine Sache gewonnen, sein Gebet und seine Tränen sind erhört. Der Himmel ist wieder geöffnet und die Gipfel der Heiligkeit sind wieder zugänglich geworden; dessen versichert mich der Sohn Gottes vor seinem Scheiden. Meine Seele, preise deinen Erlöser, der alles zu so gutem Ende führt! Glücklich, wer gleich Ihm in der Todesstunde sagen kann: «Es ist vollbracht! — Ich habe vollendet, was mein himmlischer Vater von mir erwartete. Ich habe meine Zeit, meine Kräfte und mein Leben nicht geschont. Ich habe nichts versäumt, um Ihm Seelen zu gewinnen und um Ihm die meinige zu bewahren, ich habe mich ganz für Ihn verzehrt und sterbe zuversichtlich.»

Wenn der Tod dich heute überraschte, könntest du dann so sprechen, oder bist du unbeständig in der Pflichterfüllung und in der Ausführung deiner Vorsätze? Halten dich nicht die kleinsten Schwierigkeiten noch auf, entwaffnen dich nicht die schwächsten Einwände, machen dich nicht die geringsten Feindseligkeiten mutlos?

Knie zu Füßen deines sterbenden Erlösers nieder. Erflehe von seiner Güte inständig für dich und die Deinen die Gnade der Beharrlichkeit. Erbitte für alle, die an Jesus glauben, den Mut, gut zu leben, und die Gnade, heilig zu sterben!