297. Die Kreuzigung

(Mt 27, Mk 15, Lk 23, Joh 19)

 

I Jesus erreicht den Kalvarienberg

So führten sie Ihn an den Ort Golgotha, das heißt Schädelstätte. Dort reichten sie Ihm Wein mit Myrrhe. Er nahm ihn aber nicht.

Der Heiland erreicht das Ende seines Kreuzweges. Seine Sterbestunde naht. Knie in tiefer Sammlung vor Ihm nieder und betrachte das Leidensgeheimnis! Weshalb will Jesus sterben und was verlangt Er zum Dank dafür von dir? Jesus will sterben, um Gott ein Opfer der Anbetung darzubringen, das seiner unendlichen Majestät würdig ist, und Er lädt dich ein, daran teilzunehmen durch vollkommene Hingabe deiner selbst. Er will sterben, um dem himmlischen Vater das Lösegeld für deine Seele zu zahlen, und Er bittet dich flehentlich, von nun an deine Seele nach ihrem wahren Wert einzuschätzen. Er will sterben, um dir den Himmel zu öffnen, und sterbend ruft Er dir zu, daß es keinen andern Weg dahin gibt, als den Weg des Kreuzes. Er will sterben, um dir in seinem kostbaren Blut ein heilsames Bad, einen Trank des Lebens, ein wirksames Heilmittel gegen dein Elend und deine Lauheit zu bereiten, und Er wünscht, daß du dieses Heilmittel jeden Tag und nach jedem Fehltritt gebrauchst. Sterben will Er endlich, um dir die Wahrheit seiner Lehre zu beweisen, und Er will, daß du um seines Blutes willen durch Wort und Beispiel in deiner Umgebung als Apostel wirkst.

Versenke dich in die Erwägung dieser ergreifenden Wahrheiten. Laß deinen Erlöser nicht verscheiden, bevor du sie vollkommen erfaßt hast!

 

II Jesus wird an das Kreuz geheftet

Es war um die sechste Stunde, da sie Ihn kreuzigten. Mit Ihm kreuzigten sie zwei Schächer, den einen zu seiner Rechten, den anderen zu seiner linken. So ging das Wort der Schrift in Erfüllung: «Er wird unter die Missetäter gezählt.»

Bitte den himmlischen Vater um die Gnade, die qualvolle Kreuzigung seines Sohnes liebend mitzufühlen! Sieh, wie die Henker den Heiland ergreifen und Ihn auf dem Kreuze ausstrecken.

Gedenke des Gehorsams, der Sanftmut, der Geduld und der Stärke dieses göttlichen Schlachtopfers, das sich für dich darbringt! Durchdringe dein Herz mit heiliger Trauer, erflehe dir Tränen der Reue und des Dankes! Das Lamm Gottes erhebt die Augen zum Himmel und gibt sich als Sühneopfer hin für die Sünden der Welt. Es läßt keine Klage hören, sondern läßt bereitwillig seine Hände und Füße von diesen grausamen Menschen mit Nägeln durchbohren. Es bedient sich gottloser Hände, um das große Werk seiner Barmherzigkeit zu vollbringen. Höre die Hammerschläge! Sammle das kostbare Blut, das den heiligen Wunden entströmt, damit es die Wunden deiner Seele heile.

Jetzt ist das blutige Werk vollendet, der Heiland wird an seinem Kreuze aufgerichtet. Versenke dich ganz in seine Leiden! Hörst du nicht die Stimme seiner Schmerzen, die dich aller Eigenliebe entreißen und zur heldenmütigen Entsagung anspornen möchte? Rührt dich diese Stimme nicht? Willst du nicht streben, deinem gekreuzigten Jesus ähnlich zu werden? Opfere dem himmlischen Vater deinen Leib und deine Seele auf und bitte ihn, dich dem Bild seines vielgeliebten Sohnes gleichförmig zu gestalten!

 

III Jesus fleht um Verzeihung für seine Henker

Jesus aber betete: «Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!»

Höre das erste Wort deines Erlösers am Kreuz! Er hatte gesagt: «Liebet eure Feinde!» Sterbend will Er diese Lehre durch sein Beispiel besiegeln. «Vater, verzeihe ihnen!» spricht Er voll Liebe. «Verzeihe allen, die mich verleumdet, verraten, meine Wohltaten vergessen und mich gekreuzigt haben. Ich wasche ihre Missetaten mit meinem Blut ab. Ich vereine die Stimme meines Gebetes mit ihren Beschimpfungen. Vater, fluche nicht jenen, für die ich dich anflehe!» — Bewundere den Großmut des göttlichen Herzens, der sich über all unsere Verfehlungen erstreckt. Über seine Feinde ergießt Jesus den ersten Segen seines Blutes, noch bevor Er sich mit seiner Mutter und seinen auserwählten Freunden beschäftigt; den Verrätern und Henkern gehört die erste Frucht seines blutigen Opfers. So lerne denn von Ihm, zu verzeihen; empfiehl jene, die dich kreuzigen, der göttlichen Barmherzigkeit! Wie gern erhört der himmlische Vater solche Bitten.

«Sie wissen nicht, was sie tun», fügt Jesus hinzu. So entschuldigt Er seine Feinde vor dem himmlischen Vater. Durchgehe im einzelnen alles, was diese grausamen Henker deinem göttlichen Erlöser angetan haben, ohne die ganze Tragweite ihres Tuns zu erfasen. Diese schuldhafte Unwissenheit peinigt also den Heiland und verursacht Ihm qualvolle Wunden. Strebe danach, in der Kenntnis Jesu so zu wachsen, daß du Ihn nie mehr betrübst und Ihn so liebst, wie Er es verdient.