296. Die weinenden Frauen von Jerusalem

(Lk 23)

 

I Das Mitleid der weinenden Frauen

Eine große Menge Volkes folgte Ihm, auch Frauen, die um Ihn weinten und klagten.

Begleite deinen Heiland treu auf dem Kreuzweg! Schließe dich den frommen Frauen in ihrem Schmerz an und weine mit der gleichen Liebe wie sie über das Leiden des Erlösers. Er, der deines Lebens Freude ist, auf dem alle deine Hoffnungen für Zeit und Ewigkeit ruhen, wird für immer deinen Augen entschwinden. Folge Ihm mit liebendem Blick und präge deinem Gedächtnis die edlen Züge dieses göttlichen Antlitzes ein. Laß seine zahllosen Wohltaten an deinem Geist vorüberziehen und ermiß, was du an Ihm verlierst! Gab es je einen so guten Freund und liebenden Bruder, einen so treuen Schützer und hingebenden Meister wie Ihn?

Nahe dich Ihm, trockne in ehrfurchtsvoller Liebe sein Antlitz! Bitte Ihn, deiner Seele seine Leiden tief einzudrücken. Versprich, Ihm treue Seelen zu gewinnen und mit diesen liebend Ihm nachzufolgen bis zum letzten Atemzug.

 

II Jesus kündigt den Frauen die göttlichen Strafgerichte an

Jesus wandte sich zu ihnen und sagte: «Ihr Töchter von Jerusalem, weint nicht über mich, weint vielmehr über euch selbst und über eure Kinder. Denn seht, es werden Tage kommen, da man sagen wird: Selig die Unfruchtbaren!»

Jesus beantwortet die Teilnahme der heiligen Frauen mit einer ernsten Mahnung. Er nimmt ihre fromme Kundgebung wohlgefällig auf, will aber, daß sie sich nicht auf andächtige Rührung beschränken. «Weinet nicht über mich», sagt Er. Das bloße Weinen über das Leiden Christi genügt nicht, man muß den Grund seiner Leiden immer besser zu erfassen suchen: unsere Sünden! Man muß emporsteigen bis zur Liebe des allmächtigen Vaters, der seinen einzigen Sohn dahingibt für uns Sünder, bis zum freiwilligen Gehorsam des Sohnes, der sich für uns opfert und bis zur unerbittlichen Gerechtigkeit, die ein solches Sühneopfer für unsere Sünden verlangt. Betrachten wir diese erhabenen Wahrheiten und die Verantwortlichkeit, welche uns daraus erwächst! «Weinet nicht über mich, weinet vielmehr über die, welche aus meinem Leiden keinen Nutzen ziehen wollen; weinet über die Unglücklichen, die mich vergessen, verkennen und verachten.»

«Da wird man den Bergen zurufen: Fallet über uns! Und den Hügeln: Bedecket uns! Denn wenn das am grünen Holz geschieht, was wird dann mit dem dürren geschehen?» Gilt diese Drohung nicht auch dir? Bist du nicht trotz so vieler Gnaden dennoch das dürre Holz, von dem der Heiland spricht, ohne Leben, ohne Frucht, voller Dornen, nur zum Verbrennen tauglich? Erkenne dich in diesem Gleichnis und suche der Gefahr zu entrinnen! Wende dich an die göttliche Barmherzigkeit, die allein hier helfen kann. Das dürre Holz kann unter den Strahlen der göttlichen Liebe, von aufrichtigen Bußtränen begossen, nochmals ergrünen. Komme den Mahnungen des göttlichen Erlösers mit allem Ernst nach!