275. Das Verhalten der Apostel bei der Gefangennahme Jesu

(Mt 26, Mk 14, Lk 22, Joh 18)

 

I Jesus wird von einigen der Apostel verteidigt

Da traten sie hinzu, legten Hand an Jesus und ergriffen Ihn. Als seine Begleiter sahen, was da kommen sollte, riefen sie: «Herr, sollen wir mit dem Schwerte dreinschlagen?»

Betrachte den Heiland, wie Er der Wut seiner Feinde preisgegeben ist! Der Herr des Himmels und der Erde legt seine Herrschaft in die Hände seiner Untertanen nieder, seine Gottheit tritt nicht mehr an den Tag. Küsse ehrfurchtsvoll die Fesseln, womit Er gebunden wird. Was ist die Gefangenschaft, die Er antritt, anderes, als eine Gefangenschaft der Liebe, zu deren Teilnahme Er dich einlädt? Er wünscht, daß du dich auf immer an Ihn kettest, daß du dein Herz, deine Freiheit, deine Tätigkeit, dein ganzes Leben in seine Bande einschließest als Gefangener seiner Liebe. Wirst du einwilligen?

Die Feinde Jesu freuen sich über den Erfolg ihres Unternehmens, aber die Freude der Gottlosen ist nur Torheit. Weil sie Jesus gefesselt haben, halten sie Ihn für besiegt. In Wirklichkeit hat Er nichts von seiner Macht eingebüßt, und der augenblickliche Sieg wird sie teuer zu stehen kommen. Die Gnadenquelle wird versiegen, die Wunder der Vorzeit werden sich nicht mehr wiederholen und das Haus Gottes wird für sie geschlossen bleiben. — Erfasse diese Tatsache und dringe tief ein in dieses Geheimnis der Gerechtigkeit!

Simon Petrus aber zog das Schwert, das er bei sich hatte, schlug damit nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm das rechte Ohr ab. Der Name des Knechtes aber war Malchus. — Petrus verteidigt seinen Meister mit dem Schwert, weil er die Absichten Jesu nicht versteht. Jesus will seinen Tod nicht verhindern; nicht bewaffnete Verteidiger sucht Er, sondern Jünger und Nachfolger. Um sie zu finden, muß Er den Kalvarienberg besteigen. So sehen wir in all diesen Vorgängen, wie Jesus sich freiwillig seinem himmlischen Vater zum Opfer darbringt. Danke Ihm von ganzer Seele dafür und opfere Ihm deinerseits alles, was du hast und bist!

 

II Jesus erhebt Einspruch dagegen

Doch Jesus sprach: «Laßt ab! Nicht weiter!» Dann berührte Er das Ohr und heilte es. — Da sprach Jesus zu Petrus: «Stecke dein Schwert wieder ein! Alle, die zum Schwert greifen, kommen durch das Schwert um.»

Bewundere die Güte Jesu! «Es ist genug, lasset ab! Verhindert meinen Tod nicht, widersetzt euch nicht den Plänen meines himmlischen Vaters. Weil es dem Vater wohlgefällt, daß ich sterbe, so lasset mich sterben.» Beachte, was Er tut, nachdem Er dies gesagt hat! Er heilt seinen Feind und gibt dir so ein nachahmungswürdiges Beispiel, Böses mit Gutem zu vergelten. Er wendet sich nicht von uns ab wegen unserer Sünden, sondern nimmt davon Anlaß, seine Barmherzigkeit mit den Strömen seines Blutes über uns zu ergießen.

Sieh hier die Waffen des wahren Christen! Um alle Gedanken der Rache zu überwinden, durchdringt sich der Jünger Jesu mit den Wahrheiten des Glaubens. Die Erinnerung an die Heilsabsichten Gottes mit Ihm, an das Ziel, zu dem Er erschaffen ist, an den Wert der Seele und an die sühnende Kraft des Leidens macht es Ihm leicht, auf Rache zu verzichten.

«Soll ich den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, nicht trinken? Meinst du, ich könnte meinen Vater nicht bitten, und Er wird mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel zu Gebote stellen? Wie wird dann aber die Schrift erfüllt werden? — Ich könnte mich verteidigen, ich ziehe es aber vor, nachzugeben. Ich könnte mächtige Verbündete herbeirufen, indes finde ich es besser, zu schweigen. Der allgerechte und gütige Gott verlangt ein Opfer der Anbetung, der Sühne, der Liebe. Ich gebe mich freiwillig und rückhaltlos hin.» So wie der Meister, soll auch der Jünger gesinnt sein. Nimm dir die selbstlose, heldenmütige Liebe Jesu zum Vorbild!