251. Die Fußwaschung

(Joh 13)

 

I Jesus wäscht seinen Aposteln die Füße

Es war vor dem Osterfest. Jesus wußte, daß für Ihn die Stunde gekommen war, aus dieser Welt zum Vater zu gehen. Da erwies Er, der die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, ihnen seine Liebe bis zur Vollendung.

Die Stunde ist gekommen, wo Jesus der Liebe, die sein Herz verzehrt, freien Lauf lassen darf. Für dich ist die Stunde gekommen, da du nicht mehr zaudern darfst, Jesus auch in Schmach und Leiden zu folgen.

Obwohl Jesus sich bewußt war, daß der Vater Ihm alles in die Hände gegeben hatte, daß Er von Gott ausgegangen war und wieder zu Gott zurückkehre, erhob Er sich vom Mahl,1 legte sein Obergewand ab, nahm ein Linnentuch und umgürtete sich damit. Dann goß er Wasser in ein Becken und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und sie mit dem Linnentuch abzutrocknen, mit dem Er umgürtet war.

Betrachte Jesus zu Füßen der Apostel, den Schöpfer zu Füßen seiner Geschöpfe! Er will sie lehren, daß nichts so trostreich ist wie die Unterwerfung, die Er verlangt. Der Sohn Gottes kniet zu Füßen jener, zu deren Rettung Er gekommen ist. Er bittet sie, Ihn gewähren zu lassen. Der Meister liegt zu Füßen seiner Jünger, um ihnen durch sein Beispiel die Liebe zur Demut einzuflößen. — Nahe dich deinem gütigen Heiland und biete dich an, Ihm bei der Fußwaschung behilflich zu sein! Beuge dich mit Ihm zu den Füßen der Apostel, welche dir in seinem Auftrag das Heil gebracht haben. Bemerke die Ehrfurcht, mit welcher der Sohn Gottes jene behandelt, die Er gleich zu Priestern weihen wird. Versuche ihr demütiges Staunen und ihre tiefe Ergriffenheit nachzufühlen.

1 Dies war der Augenblick, wo der österliche Ritus den Tischgenossen vorschrieb, sich die Hände zu waschen.

 

II Jesus nötigt Petrus, die Fußwaschung zuzulassen

So kam er zu Simon Petrus. Der sagte zu Ihm: «Herr, Du willst mir die Füße waschen?» Jesus antwortete ihm: «Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht, du wirst es aber später verstehen.»

Höre die Weigerung des Petrus. Er hat mit richtigem Blick den Abstand ermessen, der den Schöpfer vom Geschöpf, den Sohn Gottes von den Menschenkindern trennt. «Du — mir!» ruft er aus. Betrachte dieses Wort, das durch Erläuterung nur verlieren kann. Vergleiche! Hier stehen einander gegenüber das Elend und der Reichtum, die Niedrigkeit und die Majestät, das Nichts und das absolute Sein. Lerne hier, dich selbst zu erkennen, und demütige dich. Die Selbstverachtung wird leicht, wenn man die Größe Gottes zu erfassen anfängt.

Aber die Demut des heiligen Petrus ist noch unvollkommen, denn er sucht sich dem Vorhaben des Heilands zu entziehen. Er weiß noch nicht, daß derjenige, der nichts ist und sich für nichts hält, den Absichten Gottes nicht widerstreben darf. Petrus ruft aus: «In Ewigkeit sollst Du mir die Füße nicht waschen!» «Wenn ich dich nicht waschen darf, hast du keine Gemeinschaft mit mir», lautet die Antwort Jesu. Petrus kann nicht begreifen, daß, was den Menschen töricht scheint, vor Gott weise ist. «Laß mich gewähren», sagt Jesus. «Unterwirf dich nicht nur meiner Autorität, sondern auch den Beweggründen meiner Handlungsweise, so dunkel sie dir auch scheinen. Meine erhabene Würde wird durch meine Erniedrigung nicht beeinträchtigt; ich erniedrige mich, ohne mir etwas zu vergeben.»

Petrus unterwirft sich. Merke dir seine ausdrucksvollen Worte, die zeigen, daß die Unterwerfung aus ganzem Herzen geschieht: «Dann, Herr, nicht allein meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt!» So siegt seine Liebe zu Jesus über das Festhalten am eigenen Urteil. Durch diese Betrachtung sollst auch du geheilt werden von allem Stolz, aller Anmaßung, allem Eigensinn und aller Selbstsucht.

 

III Jesus lehrt, daß beim Streben nach Vollkommenheit sein Beispiel maßgebend ist

Nachdem Er ihnen nun die Füße gewaschen, sein Obergewand wieder angelegt und sich niedergesetzt hatte, sprach Er zu ihnen: «Versteht ihr, was ich an euch getan habe? Ihr nennt mich Meister und Herr, und ihr habt recht; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müßt auch ihr einander die Füße waschen. Denn ich habe euch ein Beispiel gegeben: Wie ich an euch getan habe, so sollt auch ihr tun.»

Welche Bedeutung legt Jesus der Fußwaschung bei? Er sagt: «Wißt ihr, was ich euch getan habe? Ich habe euch ein Beispiel gegeben.» Die Gelegenheit, euren Brüdern Dienste zu erweisen, wird euch nie fehlen, da ihr ihnen Führer und Stütze sein sollt. Erinnert euch dann daran, was ihr mich habt tun sehen! Statt über jene, die euch anvertraut sind, zu herrschen, schätzt euch vielmehr glücklich, ihnen die niedrigsten Dienste zu leisten.

In dem Augenblick, da Jesus im Begriff steht, diese Männer mit der höchsten Würde und den erhabensten Vollmachten zu bekleiden, sagt Er ihnen: «Seid demütig, werdet klein, ahmt mich nach! Alles gehört mir, ich aber habe alles darangegeben. Ich bin der Erste und habe mich zum Letzten gemacht.» Kannst du es wagen, der ewigen Weisheit durch deine hochmütige Einstellung zu widersprechen?

So nimm dir denn das Beispiel Jesu zum Vorbild und gib dich dem Heiland hin! Bitte Ihn demütig, auch dir die Füße zu waschen und durch die Berührung seiner göttlichen Hände dich vollkommen zu reinigen. Versprich Ihm dafür, daß du von nun an jede Gelegenheit benützen willst, Ihm deine Treue zu beweisen!