99. Die Verwandten Jesu

(Lk 11 u. 8, Mt 12, Mk 3)

 

I Die Seligpreisung der Mutter Jesu

Es geschah aber, als Er dies redete, erhob eine Frau unter dem Volk ihre Stimme und sprach zu Ihm: «Selig der Leib, der Dich getragen hat, und die Brust, die Dich genährt hat!»

Nimm heute wieder deinen Platz in der Schule Jesu ein. Öffne dein Herz seinen Unterweisungen.

Wer ist die Frau, die den Heiland öffentlich preist? Es ist eine Frau aus dem Volk, eine einfache Seele ohne höhere Bildung. In der Zuhörerschaft Jesu sind die am meisten Erleuchteten nicht immer die Gelehrtesten. Diese Frau hat die göttlichen Worte Jesu besser verstanden und verkostet als alle andern. Was sie soeben vernommen hat, kommt ihr so schön vor, daß sie die Mutter des Heilands selig preist. Ja, sie bedauert es, nicht zu seiner Familie zu gehören, und sie beglückwünscht jene, die Ihm durch die Bande des Blutes verbunden sind. So wirkt das Wort Gottes auf einfache Seelen.

Stimme dieser Frau bei und vereine dich mit ihr zum Preis der Gottesmutter. Durch Jesus gelangt man zu Maria und durch Maria zu Jesus. Erwecke in dir das Verlangen, Marias Lob bis zu den Grenzen der Erde zu tragen.

 

II Die Erwiderung Jesu

Er aber sprach: «Ja, selig, welche Gottes Wort hören und es befolgen!»

Beherzige diesen Ausspruch des Heilands, in welchem Er angibt, worin das wahre Glück und die wahre Ehre besteht. Selig, wer Gottes Wort hört und übt! Maria verdient also den Glückwunsch nicht nur, weil sie Mutter Gottes ist, als vielmehr, weil sie durch ihre vollkommene Treue gegen das göttliche Gesetz von Gott als die Würdigste erachtet wurde, Mutter seines Sohnes zu werden. Diese Treue sollen wir auch an den Heiligen bewundern, mehr als die außergewöhnlichen Gnaden, deren sie gewürdigt wurden. Durchdringe dich recht mit dieser Überzeugung und handle danach.

Um diese Lehre tiefer unserem Gedächtnis einzuprägen, fügt es Jesus, daß seine Mutter Ihn zu sprechen wünscht. Es sagt aber jemand zu Ihm: «Siehe, Deine Mutter und Deine Brüder1 stehen draußen und suchen Dich.» Begrüße Maria in der Menge, in der sie erscheint, um ihren Sohn zu sprechen; erbaue dich an ihrem Beispiel.

Welche Antwort gibt Jesus? «Wer ist meine Mutter; wer sind meine Brüder?» — Warum diese befremdende Frage? Sollte sich in seinem Herzen die Liebe zu seiner Mutter vermindert haben? Zweifellos nein. Deinetwegen spricht Er so. Du sollst wissen, daß Ihm die Interessen der göttlichen Ehre mehr am Herzen liegen als verwandtschaftliche Beziehungen. Dann streckte Er die Hand über seine Jünger aus und sprach: «Sehet da meine Mutter und meine Brüder.»

Das ist die Lehre, die der Heiland dir durch diese Begebenheit erteilen will. Vergiß nie, daß Gott nur jene als die Seinen ansieht, die seinen heiligen Willen vollziehen. Dieses Gesetz gilt für alle. Versuche also nicht länger, dich ihm zu entziehen, um deinem eigenen Gutdünken zu folgen. Dann wirst du zur Zahl jener gehören, von denen Jesus spricht: «Das ist meine Mutter; das sind meine Brüder.»

 

III Wer zur Familie Jesu gehört

«Denn wer den Willen meines Vaters im Himmel tut, der ist mir Bruder, Schwester und Mutter. — Meine Mutter und meine Brüder sind die, welche das Wort Gottes hören und es tun.»

Sammle dich aufs neue und höre aufmerksam zu. Der Heiland gründet sich auf Erden eine Familie. Er bietet uns sündigen Menschen die Ehre an, seinen Namen zu tragen, sein Leben zu führen, sein Erbe zu teilen. In seinem Hause sollen wir eine Heimstätte finden. Er sagt: «Meine Jünger sind meine wahre Familie. Alle, die mir treu sind, gehören zu meinen Vertrauten. Tut, was ich euch lehre, so werde ich euch wie meine Mutter lieben.» Kannst du dir ein besseres Los wünschen?

Erkenne in diesen Worten die Regel für dein Tagewerk. Der himmlische Vater läßt sie dir durch seinen eingeborenen Sohn bekanntmachen. Nur dadurch, daß du den göttlichen Willen alle Tage von neuem zur Richtschnur deines Lebens machst, erweisest du dich als Jünger Christi. Geselle dich seinen Jüngern zu, knie im Geiste mit ihnen nieder und empfange den Segen, den der göttliche Meister seiner Familie spendet. Erinnere dich in heiliger Freude deiner früheren Gelöbnisse und erneuere sie in diesem Augenblick mit großmütigem Herzen. Frohlocke im Gedanken an die göttliche Verbindung, die Jesus mit dir eingehen will.

1 Die unter dem Namen Brüder bezeichneten Personen waren Verwandte, welche nach jüdischer Sitte Brüder genannt wurden.