78. Von den Werken der Barmherzigkeit

(Mt 6)

 

I Jesus warnt seine Jünger vor der Selbstsucht

«Habet acht, daß ihr eure Gerechtigkeit nicht vor den Menschen übt, um von ihnen gesehen zu werden, sonst habt ihr keinen Lohn bei eurem Vater, der im Himmel ist.»

Versenke dich mit besonderer Andacht in die Betrachtung dieser Lehre des göttlichen Meisters. Die Lebensbesserung, die Er seinen Zuhörern ans Herz legt, ist auch für dich notwendig. Diese ernsten Ermahnungen richtet Er sowohl an sie als auch an dich.

Jesus lehrt seine Jünger, nicht nur große Dinge zu vollbringen, sondern diese auch in reiner Absicht zu tun. Was ist die gute Meinung? Es ist das Streben, das gerade auf sein Ziel gerichtet ist, das heißt auf das letzte Ziel. Der Mensch ist zur Ehre Gottes erschaffen, deshalb muß alles auf die Ehre Gottes gerichtet sein, was er unternimmt. Der einzig richtige Standpunkt ist es, in allem, was sich darbietet, eine Gelegenheit zur Förderung der göttlichen Ehre zu erblicken. Suche diesen Grundsatz zu erfassen. Nichts zur Befriedigung meiner Eitelkeit und meines persönlichen Vorteils, alles zur Ehre Gottes! Alles, um Ihm zu gefallen in der Verherrlichung seines heiligen Namens und der Erfüllung seines göttlichen Willens.

Bedenke auch, daß die eitle Ehre unsere guten Werke verdirbt, ähnlich wie ein Wurm, der an der Wurzel des Baumes nagt, den Baum mit allen Früchten verdirbt. Weil man aufgrund der Absicht beurteilen kann, ob ein Werk gut oder schlecht ist, so gib sorgfältig acht, daß deine Absicht rein ist!

Die Werke, die wir vollbringen, nur um von den Menschen geachtet zu werden, erlangen im Himmel keinen Lohn, wie es der Heiland deutlich erklärt! Er belohnt das Gute, das wir für Ihn tun, und überläßt es den Menschen auf Erden, jenes zu belohnen, das wir für sie tun. Willst du auf diese Weise das Verdienst so vieler guter Werke aufs Spiel setzen? Wie viel verliert man durch die eitle Ehre! Arbeite deshalb eifrig weiter, aber arbeite für Gott allein!

Erbitte dir vom Heiland die Gnade, diese erhabene Lehre zu verstehen und auszuüben.

 

II Die Werke der Barmherzigkeit sollen auf eine Gott wohlgefällige Weise verrichtet werden

«Wenn du Almosen gibst, so wisse deine Linke nicht, was deine Rechte tut, damit dein Almosen im Verborgenen sei; und dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird es dir vergelten.»

«Selig sind die Barmherzigen», hat Jesus gesagt. Was muß man tun, um dieser Seligkeit teilhaftig zu werden? Beachte folgenden Grundsatz, der unerläßlich ist: Übe die Werke der Barmherzigkeit nicht, um die Achtung anderer zu erwerben! Was man aus diesem Grunde tut, ist ohne Wert, oder nur von geringem Wert in den Augen Gottes. Mußt du nicht zugeben, daß es die menschliche Achtung teuer erkaufen heißt, wenn man sie auf Kosten der ewigen Seligkeit erringt? Wenn du den Menschen gefallen willst, wirst du auch nur den Lohn der Menschen erhalten! Belohnt wird man nur von jenem, dem man zu gefallen strebt.

Indes beachte auch, daß Jesus nicht von uns verlangt, unempfindlich zu sein für die Beweise der Achtung, die unsere guten Werke uns einbringen. Es genügt, diese Anerkennung Gott aufzuopfern, um ein neues Verdienst vor ihm zu erwerben.

Nimm diese Gedanken recht in dich auf; sie werden dich vor eitler Ehrsucht schützen. Das Bewußtsein, daß der himmlische Vater allezeit der Zeuge deiner guten Werke ist, sei dir genug. Sein liebender Blick sei dir Ansporn und Stärke und die lebendige Hoffnung auf den Himmel fortwährende Ermutigung. Die Freude, Ihm zu gefallen, soll dein Glück sein. Suche Gott in allem, und du wirst Ihn überall finden!