75. Von der Wahrhaftigkeit im Reden

(Mt 5)

 

I Jesus verlangt Ehrfurcht vor dem heiligen Namen Gottes

«Weiter habt ihr gehört, daß zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid schwören, und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast. Ich aber sage euch: Ihr sollt überhaupt nicht schwören.»

Lerne, wie man den Namen Gottes heilig halten soll. Jesus spricht hier zu Menschen, die gewohnt waren, den göttlichen Namen vergeblich auszusprechen und zu mißbrauchen. «Ihr sollt nicht falsch schwören» , sagt das alte Gesetz. Jesus fügt hinzu: «Ihr sollt gar nicht schwören.» Er verbietet nicht, daß man Gott als Zeugen anrufe, sondern verurteilt die üble Gewohnheit seiner Zuhörer, den heiligen Namen Gottes zu mißbrauchen.

Die Ehrfurcht vor Gott muß ein Charakterzug des Christen sein. Nun ist es aber ein offenbarer Mangel an Ehrfurcht vor Gott, Ihn leichtfertig zum Zeugen anzurufen für unbedeutende Dinge, Übertreibungen und zweideutige Reden. «Schwört gar nicht» , sagt Jesus, «und nehmt weder den Namen noch die Werke Gottes zum Zeugnis für die Wahrheit eurer Worte. Schwört auch nicht bei eurem eigenen Haupte, oder bei sonst einem Glied eures Körpers.» Auf diese Weise schwören heißt: Ich verpflichte mich zu dieser oder jener Strafe, falls das, was ich behaupte, nicht wahr ist. Durch solche Reden verfügt man aber widerrechtlich über sich selbst. Du gehörst dir nicht selbst an, hast folglich auch kein Recht, über dich selbst zu bestimmen. Erkenne die Oberherrschaft Gottes über dich an und lebe in vollkommener Abhängigkeit von Ihm. Hast du nicht auch hier Ursache, dein Gewissen zu erforschen, und mußt du in deinem Verhalten nichts verbessern?

 

II Jesus ermahnt seine Jünger zu einer vollkommenen Aufrichtigkeit

«Es sei aber eure Rede: Ja, ja; nein, nein! Alles weitere ist vom Übel.»

Mit diesen Worten kennzeichnet Jesus eine der liebenswürdigsten Tugenden des Christen: die Aufrichtigkeit. Der Jünger Christi darf niemals lügen. Er spricht: «Das ist so, jenes ist nicht so» und sein Wort gilt ihm an Eides Statt. «Ja», oder «nein». So lautet seine Antwort auf alle Fragen, die man ihm stellt. Keine Lüge, keine Verstellung, keine Umschweife! Die Wahrhaftigkeit des Christen muß so vollkommen und so selbstverständlich sein, daß man seinem einfachen Wort so fest glaubt, als wenn er es durch tausend Eide erhärtet hätte. Alles, was man mehr sagt, fügt der Heiland bei, ist vom Bösen, d. h. es kommt von der Herzenshärte, der Bosheit und dem Betrug unter den Menschen. Der sündige Mensch ist voll Mißtrauen gegenüber seinesgleichen, denn er neigt zu Verstellung und Lüge. Ein schlechter Mensch ist notwendig ein Lügner, weil es vorteilhaft für ihn ist, seine Handlungen zu verbergen und zu beschönigen. Da Jesus gekommen ist, die Menschheit zu bekehren und zu erneuern, macht Er die vollkommene Wahrhaftigkeit zur unerläßlichen Pflicht. Wir sind einander die Wahrheit schuldig, wie Glieder desselben Leibes sich gegenseitig Hilfe und Stütze sein müssen. Das Auge betrügt den Fuß nicht, und der Fuß entzieht dem Auge und dem Kopf nicht seine Dienste. Dieses Bild zeigt uns, wie wir uns zu einander verhalten sollen.

So erneuere dich denn im Geiste des Evangeliums; zeige dich so wahrhaftig, daß man dir auf dein bloßes Wort hin glaubt. Fliehe die Verstellung und tue nichts Böses, nichts Verdächtiges, nichts Schmähliches, so wirst du nichts zu verbergen haben. Hast du gesündigt und mußt du deine Sünde deinem Beichtvater oder Seelenführer offenbaren, so tue es mit schlichten Worten. Suche nicht nach eitlen Entschuldigungen für deine Fehler, und verhülle deine Schuld nicht durch lange Umschweife. Sei immer und überall demütig, so wirst du stets wahr sein!