71. Der erste Teil der Bergpredigt — Die acht Seligkeiten

(Mt 5, Lk 6)

 

III Betrachtungen über die einzelnen Seligkeiten

 

Die sechste Seligpreisung

«Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen!»

Wie das Herz das Leben des ganzen Menschen bewegt, so verleiht es auch allen Handlungen die Reinheit, falls es selber rein ist. Erkenne hier die Ursache all deiner Unvollkommenheiten. Weil du zu wenig über dein Innerstes wachst, lassen auch deine äußeren Werke zu wünschen übrig. Deshalb bist du so oft unzufrieden.

Die Reinheit des Herzens besteht in einem vollkommenen Freisein von schlechten Anhänglichkeiten. Ein Herz ist rein, wenn es ganz vom Verlangen beseelt ist, in allem Gott zu gefallen und nichts zu lieben außer Gott und alles in Gott. In einem solchen Zustand kann das Herz durch nichts befleckt werden. Die Erhabenheit dieser Forderung soll dich nicht entmutigen, sondern anspornen, diese Gnade zu ersehnen. Mit der Hilfe Gottes ist die Reinheit des Herzens möglich; man muß nur sorgfältig über seine Gedanken und Wünsche wachen und alles Schädliche sofort abweisen.

Betrachte das große Glück dieser Reinheit, da sie die Anschauung Gottes verdient, nicht nur im Himmel, sondern auch schon in diesem Leben, durch das innere Gnadenlicht nämlich, welches uns Gott und sein Wirken schauen läßt in allen Dingen. Die Mühe, welche du hast bei der Betrachtung und in den geistlichen Übungen, zeigt, daß dein Herz noch nicht ganz rein ist. Gott offenbart sich denen nicht, die in ihrem Herzen nach irdischen Dingen und nach der Weltlust verlangen.

 

Die siebente Seligpreisung:

«Selig die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden!»

Die wahrhaft Friedfertigen sind jene, die Frieden stiften und ihn auch den Mitmenschen vermitteln, indem sie mit Klugheit helfen, den Frieden dort wieder herzustellen, wo er nicht ist. Der Friedfertige wird so zu einem Werkzeug des Heiligen Geistes, der alle Menschen durch ein heiliges Band vereinen will. Gib acht, daß du nicht zum Werkzeug des Teufels wirst, indem du Verwirrung und Uneinigkeit stiftest durch deine Worte oder durch dein Tun. Dies wäre keine geringe Sünde, denn Gott verabscheut sie mehr als viele andere Sünden.

Bedenke auch, daß die Friedfertigen wahrhaft Kinder Gottes sind, denn Gott ist der Urheber des Friedens. Nur Er kann den wahren Frieden verleihen, denn Er ist der unendliche Friede, und der Friede in uns ist die Frucht seiner liebenden Gegenwart in unserem Herzen. Entsage deshalb allem, was den Frieden in deinem Herzen stören könnte, und Gott wird dich als sein Kind lieben.

 

Die achte Seligpreisung

«Selig, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgung leiden, denn ihrer ist das Himmelreich!»

Betrachte, was der Herr dir durch diese Worte zusichert! Es muß ein großes Glück sein, unschuldig leiden zu können, denn die Tugend wird gefestigt in Kampf und Verfolgung.

Jene, die Verfolgung leiden, obwohl sie Gutes getan haben, ahmen unseren Herrn und auch die heiligen Märtyrer nach, welche lieber Unrecht leiden als Böses tun wollten. Sie sind selig, denn sie beweisen eine ganz reine Liebe zu Gott, welche seine Segnungen herabruft. Du glaubst nicht an diese Wahrheit, solange du dich durch eine kleine Widerwärtigkeit von guten Werken abhalten läßt. Wäre es nicht besser, ein vorübergehendes Leiden geduldig auf dich zu nehmen, als einen Lohn zu verlieren, der ewig dauern wird? Bedenke, daß jene ein doppeltes Anrecht auf das himmlische Paradies haben, die Gutes getan und um des Sohnes Gottes willen Leiden erduldet haben. Der Heiland ruft ihnen zu: «Selig seid ihr, wenn euch die Menschen schmähen und verfolgen und alles Böse lügnerisch wider euch reden um meinetwillen! Freuet euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß im Himmel!»

 

IV Jesus spricht sein Wehe über die falschen Freuden der Welt

«Aber weh euch, ihr Reichen! Ihr habt schon euren Trost. Weh euch, die ihr jetzt satt seid! Ihr werdet hungern. Weh euch, die ihr jetzt lacht! Ihr werdet trauern und weinen. Wehe euch, wenn alle Welt euch umschmeichelt! Ihre Väter haben es ja mit den falschen Propheten ebenso gemacht.»

«Wehe!» — Höre dieses Verwerfungsurteil des Heilandes. Er hat es so entschieden ausgesprochen, daß alle gegenwärtigen und zukünftigen Geschlechter es verstehen können. Wehe! Der Sohn Gottes ist also in der Welt erschienen nicht allein zum Segen, sondern auch zum Fluch. In Ihm finden die einen das Leben, und durch Ihn finden die andern den Tod.

Höre aufmerksam, gegen wen der Herr seine Drohungen ausspricht. Sein Zorn richtet sich gegen den selbstsüchtigen Reichtum, den unvernünftigen Ehrgeiz, den Mißbrauch der Vergnügungen, die Befriedigung der Wollust. Der Sohn Gottes will uns dem Himmel wieder zuführen. Wer aber hartnäckig an die Erde gefesselt bleiben will, der ist vom Himmel ausgeschlossen. Jesus ist erschienen, um den Menschen die Erkenntnis und Liebe Gottes zu bringen. Wer es vorzieht, seine Götzen weiter zu verehren, wird verworfen werden. Jesus will alle lehren, den eigenen Willen unter das Joch des Schöpfers zu beugen. Wer sich dagegen auflehnt und empört, geht verloren. Mit diesen Unbotmäßigen will der Heiland keine Gemeinschaft haben. Er zieht sich von ihnen zurück und wird sie einst dem himmlischen Vater zeigen mit den Worten: «Sie sollen nicht mit mir eingehen in das Reich, das Du mir bereitet hast. Sie gehören nicht zu den Meinigen; ich verwerfe sie!»

Denke über diese ernsten Warnungen nach. Du hast die Wahl zwischen den beiden Wegen, von denen Jesus hier spricht, und du mußt diese Wahl treffen. Betrachte die Reichtümer dieser Welt nicht als etwas Erstrebenswertes, sondern eher als eine Gefahr, weil sie so viele Versuchungen zum Bösen in sich tragen, zu dem du ja so sehr die Neigung in dir hast. Was mußt du in Zukunft ändern, um dem furchtbaren Urteil der Verwerfung zu entgehen?