70. Die Wahl der Apostel

(Mt 5, Mk 3, Lk 6)

 

I Jesus zieht sich in die Einsamkeit zurück, um zu beten

Es geschah aber in jenen Tagen, daß Er hinausging auf den Berg1, um zu beten; und Er brachte die Nacht im Gebete mit Gott zu.

Gehe in frommer Sammlung zu deinem Meister. Entferne aus deinem Geiste jeden fremden Gedanken und verbanne aus deiner Seele jede Unruhe. Wichtige Dinge bereiten sich vor. Die Zeit der Verkündigung des neuen Gesetzes ist angebrochen.

Jesus leitet dieses große Ereignis durch Gebet und Sammlung ein. Er weiß wohl, wie sehr die Menschen seiner bedürfen; aber trotzdem zieht Er sich in die Einsamkeit zurück. Er entfernt sich von der Menge, um später mit um so größerer Frucht an den Seelen arbeiten zu können. Je mehr Arbeit und Unruhe der Tag bringen wird, desto größer ist die Notwendigkeit, das Gebet zu verlängern. Um Zeit zum Gebet zu finden, verzichtet Er auf den Schlaf und bringt die Nacht im Gebet zu.

Bewundere die Weisheit Jesu, die sich hierin offenbart. Der Apostel ist berufen, seinen Brüdern die Gnade zu vermitteln, sei es durch sein Wort, durch sein Beispiel oder durch die Ausübung seiner priesterlichen Gewalt. Jede Seele hat die Aufgabe erhalten, anderen Seelen Gutes zu tun, jede soll sich als Vermittlerin zwischen Gott und diesen Seelen betrachten. Wo anders als im Gebet wird sie erfahren, wie sie diese Aufgabe erfüllen kann? Kannst du dies nicht auf dich selbst anwenden? So besteige denn mit dem Heiland den Berg. Knie andächtig neben Ihm nieder und lausche seinem Gebet. Er redet mit dem himmlischen Vater von allen, die Ihm teuer sind und die Er unterrichten will. Höre, wie Er deinen Namen nennt. Auch für dich betet Er; auch dich will Er unterweisen und retten. Frohlocke in heiligem Vertrauen.

1 Nach den glaubwürdigsten Überlieferungen handelt es sich um den Berg der acht Seligkeiten, der in Galiläa, nicht weit von dem Westufer des Sees von Tiberias liegt, ungefähr zwei Stunden entfernt von der Stadt gleichen Namens. Der Gebirgszug erhebt sich ungefähr 250 Meter über mehrere Einschnitte und Täler, die sich nach Arbel und Tiberias zum See hin senken. Nach Süden hin überragt er um 60 Meter die hügelige Ebene, die sich nach dieser Seite erstreckt. Diese beiden Erhebungen sind durch eine 400 Schritt lange Einsenkung voneinander getrennt.

 

II Jesus erwählt seine Apostel

Und als es Tag geworden war, berief Er seine Jünger zu sich. Er bestellte zwölf.1 Sie sollten beständig bei Ihm sein, und Er wollte sie zum Predigen senden. Sie sollten auch Macht haben, Krankheiten zu heilen und die bösen Geister auszutreiben.

Jesus will den Grundstein zum Bau der Kirche legen. Wohne der Berufung der Apostel bei. Seine Wahl fällt auf solche, die gelehrige Werkzeuge in seiner Hand sein und ganz der Ehre ihres Meisters leben werden. Je geringer man in den eigenen Augen ist, desto würdiger ist man der Auserwählung. Warum solltest nicht auch du Verlangen nach solcher Auserwählung tragen? Alle sind zum Apostolat berufen, freilich nicht alle in derselben Weise und mit denselben Vollmachten. Aber von allen wird derselbe Eifer für die Ehre Gottes und das Heil der Mitmenschen gefordert. Um an dem Berufe der Apostel teilzunehmen, genügt es, herzliches Verlangen zu haben, andern die Wohltat des Evangeliums zu bringen und selbst aus den Lehren des Evangeliums Nutzen zu ziehen.

Nach der Wahl umringen die zwölf Apostel ihren göttlichen Meister. Betrachte sie einzeln; es waren Simon Petrus, Jakobus und Johannes, Andreas, Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Thomas, Jakobus, der Sohn des Alphäus, Simon aus Kana und Judas Thaddäus; auch Judas Iskariot, der Verräter, gehörte dazu. Siehe in ihnen deine Vorgänger als Apostel und verehre in ihnen die Stellvertreter des menschgewordenen Sohnes Gottes. Höre die ersten Unterweisungen, die sie empfangen. Gleich dir fühlen sie sich ungeschickt und unfähig, der hohen Berufung zu entsprechen, zu der sie erhoben worden sind. Indessen sind sie überzeugt, daß Gott niemanden ruft, ohne ihm die notwendigen Gnaden zu verleihen.

1 Es handelt sich um die endgültige Wahl der zwölf Apostel.

 

III Jesus kehrt mit den Aposteln zum Volke zurück

Mit ihnen stieg Er hinab und machte auf einem ebenen Platze halt.1 Eine große Schar seiner Jünger und eine zahlreiche Menge Volkes aus ganz Judäa, Jerusalem und dem Küstenlande von Tyrus und Sidon war herbeigeströmt, um Ihn zu hören und von ihren Krankheiten geheilt zu werden.

Jesus steigt mit seinen Aposteln vom Gipfel des Berges herab. Das Volk drängt sich zu ihrer Begrüßung heran, darunter viele Arme, Unwissende, Kranke und Sünder. In der großen Menschenschar finden sich auch Glückliche im Sinne der Welt und Gebildete, aber auch manche heilige Seelen. Jesus weist niemanden zurück, hält sich von keinem fern, denn alle bedürfen seiner. Sein Evangelium ist für alle ohne Ausnahme. Siehe, mit welch freudigem Eifer Er empfangen wird. Alles Volk suchte Ihn anzurühren; denn eine Kraft ging von Ihm aus und machte alle gesund. Seine Gegenwart ruft einen Freudensturm hervor: Freude über erwachendes, neues Leben, über erlangte Heilung, über die Vergebung der Sünden und über wiedererlangte Hoffnung; Freude, das Heil kennenzulernen und zu verstehen, zu finden und zu besitzen.

Nimm teil an dieser allgemeinen Freude. Da du nun ein Schüler des Sohnes Gottes bist, so vergiß alles eitle Wissen, das dich so lange getäuscht und irregeleitet hat. Öffne deine ganze Seele den Lehren der göttlichen Weisheit!

1 So übersetzen wir nach dem Text des hl. Lukas. Es handelt sich um eine tiefer gelegene Stelle des Berges, zu welcher Jesus herabstieg, nachdem Er auf dem Gipfel oder einem höher gelegenen Ort gebetet und seine Apostel erwählt hatte.