57. Jesus als Freund der Sünder

(Mt 9, Mk 2, Lk 5)

 

I Jesus setzt sich mit den Sündern zu Tische

Levi gab Ihm nun in seinem Hause ein großes Gastmahl. Eine große Schar von Zöllnern und von andern Leuten waren mit ihnen zu Tische.

Folge dem Heiland in das Haus des Zöllners. Lerne von ihm, Jesus aufzunehmen und zu bewirten. An dem Tisch, wo der Herr sich niederläßt, wirst du von Ihm ergreifende Lehren empfangen. Bereite dich, sie zu verstehen und zu verkosten. Nimm an dieser Tafel die letzte Stelle ein, die dir zusteht.

Levi bereitet Jesus ein großes Gastmahl. Dieser Tag ist ein Feiertag für den Zöllner. Und doch ist es der Tag, an dem er der Gesinnung nach alles verlassen hat. Er hat den Entschluß gefaßt, in Armut Dem zu folgen, der nichts hat, wohin Er sein Haupt legen kann. In dieser vollständigen Losschälung hat er das Glück gefunden. Im Reich Jesu zählen also die Tage der Losschälung zu den Festtagen.

Siehe, wie die Sünder herbeieilen. Nimm teil an der Herzensfreude deines guten Heilandes. Wo Er weilt, drängen sich alle Hilfsbedürftigen und Sünder um Ihn. Die Güte seines Herzens zieht diese Armen unwiderstehlich an. Welches sind die Gesinnungen dieser armen Leute? Was sagen sie dem Heiland? Sie legen Ihm ihre Zweifel vor, bekennen ihre Schuld und vertrauen Ihm ihre Nöte an. Sie verdemütigen sich und sind bereit, die erforderliche Genugtuung zu leisten. Sie sind voll Freude in der Hoffnung auf Verzeihung. Und was sagt Jesus zu ihnen? Höre zu, sammle dich! Betrachte den Freund der Sünder inmitten der Seinigen.

Meine Seele, warum wendest du dich von Ihm ab, wenn du dich schuldig fühlst? Warum fürchtest du dich, Ihm zu nahen und Ihm dein Elend zu zeigen? Zu wem willst du gehen, wenn nicht zu Ihm? Er hat sich nicht von dir abgewandt, Er erwartet deine Rückkehr ins Vaterhaus. So räume Ihm den Platz in deinem Herzen wieder ein, von dem du Ihn vertrieben hast. Er bittet dich darum. Warum fürchtest du dich? Knie vor deinem Heiland nieder, bekenne Ihm deine Schuld und sag Ihm alles, was dich bedrückt. Dann wirst auch du Feiertag haben.

 

II Jesus erklärt, daß Er gekommen ist, um den Sündern Barmherzigkeit zu erweisen

Darüber murrten die Pharisäer und Schriftgelehrten und sprachen zu seinen Jüngern: «Warum eßt und trinkt ihr mit Zöllnern und Sündern?»

Höre das Murren dieser Scheinheiligen und Eifersüchtigen. «Warum mischt sich euer Meister unter die Unwissenden und Sünder?» fragen sie. Mit Sündern und Heiden verkehren heißt, nach dem Urteil der jüdischen Gesetzesausleger, sich verunreinigen. Äußerlich sich mit dem Elend zu bekleiden, um die Elenden zu retten, erscheint ihnen als Erniedrigung. Nach ihren Begriffen widerstrebt es der Heiligkeit Gottes, dem Sünder so sehr entgegenzukommen. Gott ist zu groß, um sich so weit herabzulassen, seine unendliche Reinheit kann den Anblick unserer Sündhaftigkeit gar nicht ertragen.

Unter dem Vorwand größerer Vollkommenheit wagen diese Menschen, der göttlichen Güte Grenzen zu ziehen, als ob die Vollkommenheit der Güte nicht gerade darin bestünde, daß sie grenzenlos ist. Sie verschließen gleichsam das Herz Gottes, als ob sie sich vor den Gnadenschätzen fürchteten, die dem geöffneten Herzen entfließen. Verwahre dich gegen diese verderbliche Lehre, die von dem Gift des Stolzes durchdrungen ist. Sei überzeugt, daß man das Herz Gottes sehr beleidigt, wenn man dem Vertrauen auf seine Güte Grenzen setzt.

Welche Antwort hält Jesus dem Murren der Pharisäer entgegen? «Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer. Denn Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu berufen, sondern Sünder.» Ich will Barmherzigkeit üben. Mein Herz hat das Bedürfnis, sich zu erbarmen. Ich komme als Erlöser zu den Armen, deren Elend mich gerührt hat.

Blicke in dich und erkenne dich selbst. Gehörst du nicht zu denen, die Jesus sucht? Denke an die Geschichte seiner erbarmenden Liebe zu dir. Ermiß die große Entfernung zwischen Ihm und dir und sieh, wie Er diese trennende Kluft überschritten hat. Zähle die Demütigungen, denen Er sich bereitwillig unterzogen hat. Begib dich im Geiste an die heiligen Orte, wo Er als Mensch weilte, nach Bethlehem, Nazareth, in die Verbannung. Sieh Ihn in den Kämpfen seines öffentlichen Lebens. Bedenke, was Er getan hat und noch tun wird, und sprich: Das alles für Unwürdige, für Sünder, für mich! Zieh deine Schlußfolgerungen. Wirf dich Jesus zu Füßen. Versichere Ihn deiner rückhaltlosen Hingabe! Der Stolz, der dich von Ihm trennt, sein Erlösungswerk in dir verhindert oder verzögert, muß ausgerottet werden. Entschließe dich zu einem schonungslosen Kampf gegen diesen deinen Hauptfeind und gib dich Jesus ganz hin zum Dank für seine Erbarmungen.