235. Das Gleichnis von den ungetreuen Winzern

(Mt 21, Mk 12, Lk 20)

 

I Jesus belehrt seine Zuhörer über die Hoheitsrechte Gottes

«Vernehmt noch ein anderes Gleichnis: Ein Hausherr legte einen Weinberg an. Er umgab ihn mit einem Zaun, grub darin eine Kelter und baute einen Turm. Dann verpachtete er ihn an Winzer und ging außer Landes.»

Mische dich unter die Volksmenge, die sich im Vorhof des Tempels um den Heiland drängt. Bemühe dich, deinen göttlichen Meister zu verstehen und den wahren Sinn dieser Parabel zu erfassen. Es handelt sich wieder um die Hoheitsrechte Gottes über den Menschen. Jesus kommt so oft auf diesen Gegenstand zurück, damit wir nach seinem Hingang dieser Wahrheit besonders eingedenk seien.

Was bedeutet jener Weinberg, der mit so viel Sorgfalt gehegt und gepflegt worden ist? Das bist du selbst. Von Gott bist du erschaffen, Ihm gehörst du mit all deinen Kräften und Fähigkeiten. — Der Hausvater verpachtet seinen Weinberg gegen eine gewisse Entschädigung. Bemerke wohl, daß Gott uns sein Eigentumsrecht an den geschaffenen Dingen nicht abtritt, wenn Er sie uns zur Verfügung stellt, damit wir mit ihnen unser ewiges Heil erwirken. Die Frucht von allem, was Gott uns anvertraut hat, verlangt Er für sich, und diese Forderung Gottes ist durchaus gerecht.

«Als aber die Zeit der Weinlese kam, schickte er seine Knechte zu den Winzern, um den Ertrag in Empfang zu nehmen. Die Winzer jedoch fielen über seine Knechte her; den einen erschlugen sie, den andern töteten sie, einen dritten aber steinigten sie.» Was der Hausvater durch seine Boten von den Winzern verlangt, ist gerecht und billig. So sind auch die Forderungen, mit denen die göttliche Majestät an die Menschen herantritt, immer angemessen und vernünftig. Aber nicht selten lassen wir uns durch unsere Leidenschaft verblenden, sie für ungebührlich zu erklären.

Vielleicht bist du entrüstet über die Mißhandlung jener Knechte, denen als Boten ihres Herrn eine gute Aufnahme gebührte, und doch ist in sehr vielen Fällen dein Verhalten gegen Gott nicht weniger ungerecht und kränkend. Erfülle deine Seele mit Abscheu gegen einen solchen Undank und sei fest entschlossen, dich nie wieder gegen die göttliche Majestät aufzulehnen!

 

II Jesus wirft den Juden ihre Treulosigkeit und ihre schändlichen Pläne vor

«Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen, indem er sagte: Vor meinem Sohn werden sie Scheu haben. Als aber die Winzer den Sohn erblickten, sagten sie zueinander: Das ist der Erbe. Auf, laßt uns ihn umbringen und sein Erbgut in Besitz nehmen. Sie ergriffen ihn also, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und töteten ihn.»

Betrachte die Güte des himmlischen Vaters, der in dem Augenblick, da seine abtrünnigen Geschöpfe sich der schwersten Strafe schuldig machen, nur daran denkt, wie Er sie bekehren und wieder auf den rechten Weg bringen kann.

Welches Wunder der Allmacht und Barmherzigkeit hat die unendliche Weisheit noch aufbewahrt, um seine verblendeten Geschöpfe zur Einsicht zu bringen? «Ich will meinen geliebten Sohn senden.» Der himmlische Vater ist bereit, seinen vielgeliebten, eingeborenen Sohn zu senden, diesen Sohn, dessen Leben Ihm überaus teuer ist, gleichen Wesens mit dem Vater, dem Erben all seiner Güter. Und doch ist Er Entschlossen, das Leben dieses eingeborenen Sohnes preiszugeben, um seinen Hoheitsrechten über die Menschen zum Sieg zu verhelfen. So weit geht Gott, um sein Geschöpf zu bewegen, zu seiner Pflicht zurückzukehren.

Der Sohn bietet sich selbst dem Vater an und übernimmt mit heiligem Eifer die Ihm anvertraute Sendung. So erscheint Er auf dem Kampfplatz, um sich der Schmach und dem Tod auszuliefern. In diesem Augenblick spricht Er zu seinem Volk und macht einen letzten Versuch, das drohende Verderben von ihm abzuwenden. Doch von allen Seiten ertönt das Geschrei des Hasses und Neides. Schon hat sich eine Verschwörung gegen sein Leben gebildet; nur noch wenige Tage, dann wird sich der furchtbare Gottesmord vollziehen. Nimm innig teil an den Leiden des Heilands, und opfere dich Ihm ganz auf zur Sühne für das, was Ihm bevorsteht. Sei fest entschlossen, seinen Tod an dir selbst zu rächen!

 

III Jesus sagt seinen Feinden die ewige Verdammnis voraus

« Wenn nun der Herr des Weinberges kommt, was wird er mit diesen Winzern anfangen? Sie erwiderten ihm: Er wird die Elenden elend umbringen und seinen Weinberg an andere Winzer verpachten, die ihm den Ertrag zur rechten Zeit abliefern. Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird euch genommen und einem Volk gegeben werden, das seine Früchte bringt.»

Jesus läßt die Juden selbst das Verhalten jener Winzer verurteilen. «Wenn nun der Herr des Weinbergs kommen wird, was wird er diesen Männern tun? Welche Strafe haben sie eurer Ansicht nach verdient?» Was verdienen alle, die Gott und seinen Gesalbten verschmähen, die sich hartnäckig weigern, dem Gesetz des Evangeliums zu gehorchen, und die alle Vorschriften der göttlichen Autorität mit Füßen treten? Was verdienen jene, die behaupten, daß nur der gegenwärtige Augenblick das Leben des Menschen ausmache, daß die zeitlichen Angelegenheiten das einzig Wesentliche seien und daß man nur sich selbst Rechenschaft von seinem Tun und Lassen schulde? «Er wird sie elend umbringen», antworten Ihm seine Zuhörer. Diese Elenden verdienen wirklich, von dem geheiligten Boden, den sie geschändet haben, vertrieben zu werden. Es geschieht ihnen recht, wenn sie auf ewig der Kindschaft Gottes beraubt werden ohne Aussicht, jemals die verlorene Gnade wiederzugewinnen. Du mußt zugeben, daß dieses Urteil gerecht ist. Es wird sich in alle Ewigkeit an den unglücklichen Seelen vollziehen, die der Tod in ihrer Auflehnung gegen Gott überrascht.

Der Verdammte gleicht den Winzern, von denen der göttliche Meister spricht. Alle Güter sind ihm entzogen und anderen gegeben worden, er sieht sich jeder Hoffnung beraubt, und keine Macht des Himmels und der Erde kann ihm das verlorene Paradies zurückgeben. Er ist zerschellt an dem Eckstein, der allen, die sich auf Ihn stützen, ein sicherer Halt ist, allen aber, die sich an Ihm stoßen, zum Verderben gereicht.

Erwecke in deinem Herzen eine heilsame Furcht vor den göttlichen Strafgerichten, damit, wenn deine Liebe zum Heiland nicht stark genug ist, dich vom Bösen abzuschrecken, wenigstens die Furcht vor Gottes Gerechtigkeit dich vom Sündigen abhalte!