234. Das Gleichnis von den zwei Söhnen

(Mt 21)

 

I Jesus verurteilt die falsche Gerechtigkeit der Pharisäer

«Was dünkt euch? Ein Mann hatte zwei Söhne. Er ging zum ersten und sagte: Mein Sohn, geh und arbeite heute in meinem Weinberg. Der antwortete: Ja, Herr, ging aber nicht hin.»

Verweile mit dem Heiland im Tempel und denke über das Verhalten der beiden Söhne nach, von denen Er seinen Zuhörern berichtet!

Was tut der eine? «Dieser aber antwortete und sprach: Ja, Herr. Ich gehe. Und er ging nicht.» Der Vater sagte: «Gehe!», und voller Eifer antwortet ihm sein Sohn: «Ja, ich gehe!», und dabei läßt er es bewenden. Er fährt in seiner Beschäftigung fort, und indem er die Vollziehung des Befehls immer wieder hinausschiebt, verliert er alle Energie. In seinem Streben nach Vollkommenheit kommt er niemals über Gefühlswallungen und gute Vorsätze hinaus. Vergleiche dich mit ihm! Zähle die Versprechen, die du Gott gemacht und nicht erfüllt hast, die guten Entschlüsse, die nicht zur Ausführung gekommen sind. — Gleichst du nicht dieser Seele, die ihr Joch nicht tragen will, oder erkennst du vielleicht in diesem Sohn dein eigenes Bild?

«Er ging aber zu dem andern Sohn und sprach ebenso. Der antwortete: Ich mag nicht.» Er weigert sich, dem Befehl seines Vaters nachzukommen und ist voller Unmut, weil it seine Freiheit beeinträchtigt sieht. Ohne darüber nachzudenken, wer mit ihm spricht, antwortet er mit einem harten «Nein!». Er bedenkt nicht, daß er der Autorität seines Vaters Gehorsam schuldet und daß dieser bei all seinen Anordnungen nur das Beste seiner Söhne im Auge hat. Er fühlt nur das eine: man schickt ihn an die Arbeit, während er seinem Vergnügen nachgehen möchte. Er betrachtet die Unabhängigkeit als sein höchstes Gut, und der Gedanke, man wolle sie ihm rauben, ist ihm unerträglich. Dann aber besinnt er sich, und es tut ihm leid. Er geht schlußendlich doch hin, den Auftrag des Vaters zu erfüllen.

Vielleicht findest du, daß du mit beiden Söhnen Ähnlichkeit hast. — Jesus fragt die Juden: «Welcher von den beiden hat den Willen des Vaters getan?» Sie sprachen zu Ihm: «Der zweite». Jedenfalls ist der zweite weniger schuldig als der erste; denn nachdem er seinen Fehler eingesehen hat, sucht er ihn wiedergutzumachen. Aber auch er war schuldig, denn wir dürfen unserem Herrn und Gott, der das Recht hat, unbedingte Unterwerfung von uns zu verlangen, keinen Augenblick den Gehorsam verweigern. Jesus ist der Gütigste aller Herren, darum suche durch aufrichtige Reue wiedergutzumachen, daß du dich oft geweigert hast, seinen Willen zu tun. Beweise in Zukunft, daß du nicht nur in Gefühlen und Worten, sondern auch im Werk sein wahrer Jünger sein willst!

 

II Jesus belehrt seine Zuhörer, welche Gesinnungen ihnen den Himmel öffnen

Da sprach Jesus zu ihnen: «Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Buhlerinnen kommen noch vor euch in das Reich Gottes.»

Nimm teil an dem Kummer, der das Herz Jesu drückt! Viele, denen reiche Gnaden zuteil geworden sind, mißbrauchen die Langmut Gottes; statt sich seinem Willen zu unterwerfen, lehnen sie sich in freiwilliger Verblendung gegen Gott auf. Manche, denen Gott einen hohen Platz in seinem Reich zugedacht hatte, laufen Gefahr, des Himmels ganz verlustig zu gehen.

Hüte dich, so daß Jesu Worte auf dich keine Anwendung finden. Vielleicht erlangen die Unwissenden, die du so geringschätzig betrachtest, einen höheren Grad der Glorie als du. Vielleicht haben die Seelen der Armen und Niedrigen, denen du so stolz begegnest, in den Augen Gottes einen höheren Wert als die deinige. Die Sünder und Sünderinnen, die du mit großer Strenge verurteilst, sind vielleicht der Gnade Gottes würdiger als du. So lege denn alle Überheblichkeit ab!

Jesus Christus ist gekommen, um uns den Weg zum Himmel zu zeigen. Wandle festen Schrittes auf diesem Pfad, und laß dich von niemand mehr überholen. Du hast viel verlorene Zeit wieder einzubringen, eile dem Gipfel zu, den du noch zu ersteigen hast.