216. Der Tod des Lazarus

(Joh 11)

 

I Jesus erhält Mitteilung von der Krankheit des Lazarus

Da war ein Kranker, Lazarus von Bethanien, dem Flecken Marias und ihrer Schwester Martha. Maria war es, die den Herrn mit Öl gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren getrocknet hatte.

Begib dich mit den Boten Marias und Marthas zum göttlichen Meister. Es handelt sich darum, sein Herz zum Mitleid zu bewegen. Denn Lazarus ist erkrankt, und seine beiden Schwestern, die Jesus ebenso liebt wie ihren Bruder, bitten Ihn, dem Kranken zu helfen. Schwere Trübsal ist über das Haus hereingebrochen, in dem der Herr so innig geliebt wird und wo Er schon so manches Mal gastfreundlich aufgenommen wurde. So werden auch die Freunde Jesu von Leid nicht verschont. Aber ist nicht Jesus die unerschöpfliche Quelle wahren Trostes für alle Leidenden?

Da schickten seine Schwestern zu Ihm und ließen Ihm sagen: «Herr, den Du liebhast, der ist krank.» Vernimm, wie die Abgesandten der beiden Schwestern ihre vertrauensvolle Bitte dem Heiland wortgetreu überbringen: «Herr, den Du liebhast, der ist krank!» Gott verlangt von uns nicht viele Worte. Er liebt uns, und da genügt es, Ihm demütig unsere Not zu klagen. Wenn du eine schwere Arbeit zu leisten hast, wenn irgendein Leid dich drückt, wenn in deinem Herzen eine unerträgliche Leere entstanden ist, wenn es sich darum handelt, einen Sieg zu erringen oder gar ein Wunder zu wirken, dann sprich ganz einfach und kindlich zum himmlischen Vater: «Der, den Du liebhast, ist krank. Du hast schon so sehr viel für ihn getan, aber Du siehst, daß Dir noch etwas zu tun übrigbleibt.» Und dann harre vertrauensvoll auf die Erhörung deiner Bitte.

Wie lautet die Antwort des Herrn? «Diese Krankheit ist nicht zum Tod, sondern zur Ehre Gottes, damit der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde.» — Jesus erklärt den Sinn des Leidens. Wie der Mensch zur Ehre Gottes lebt, so soll er auch zur Ehre Gottes leiden. Die Ehre Gottes ist der Zweck der ganzen Schöpfung, aller Freuden und aller Leiden. Von diesem Standpunkt aus betrachtet der Gerechte seine irdische Laufbahn, und deshalb murrt er niemals. Wenn Gott einerseits unsere Leiden zu seiner Ehre gereichen läßt, so dient andererseits seine Ehre unserem Glück und unserer Seligkeit. Laß also Jesus machen, laß Ihn verfahren, wie Er will, um dein Glück zu gestalten.

 

II Jesus kommt nach Bethanien und begegnet Martha

Als Jesus ankam, fand Er ihn schon vier Tage im Grab liegend. Sobald Martha von der Ankunft Jesu hörte, ging sie Ihm entgegen. Maria aber blieb im Haus.

Schlage mit dem Heiland und seinen Jüngern den Weg nach Bethanien ein. Für den, der alles kann, ist es nie zu spät. Jesus hat sein Kommen nur aufgeschoben, weil Er entschlossen ist, ein Wunder zu wirken. Das Tote wird in größerer Schönheit durch Ihn wieder erstehen. Bitte Ihn, dein Vertrauen zu stärken.

Wohne im Geist dem Zusammentreffen des Herrn mit Martha bei und höre, wie jene ausruft: «Herr, wärst Du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. Doch auch jetzt weiß ich, daß Gott Dir alles gewährt, worum Du Ihn bittest.» Von Martha kannst du lernen, wie du dem lieben Gott dein Leid klagen kannst, ohne dich über seine Anordnungen zu beklagen. Martha leidet, aber sie klagt in sehr zarter, liebevoller Weise, ohne zu murren und ohne ihrem göttlichen Meister Vorwürfe zu machen. Sie unterwirft sich dem geheimnisvollen Walten der göttlichen Vorsehung. Ihre Klage drückt tiefes Erstaunen, aber kein Mißtrauen aus. Im größten Schmerz vergißt sie nicht der zahlreichen Wohltaten, die sie von Jesus empfangen, und ihre Liebe und Dankbarkeit kann durch nichts vermindert werden. — «Ich weiß, daß Du alles kannst», versichert sie dem Herrn. «Es ist mir zwar nicht verständlich, warum Du diese Prüfung zugelassen hast, aber ich weiß, daß Du uns ebensosehr liebst wie in den Tagen des Glücks. Du hast Dich nicht verändert, und was Du damals konntest, das ist Dir auch jetzt noch möglich.»

Lausche, wie Martha spricht; betrachte Jesus, wie Er zuhört. Eröffne auch du Ihm dein Herz, wie sie es tut.

 

III Jesus prüft Marthas Glauben

Jesus sprach zu ihr: «Dein Bruder wird auferstehen.» Martha entgegnete Ihm: «Ich weiß, daß er auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tag.» Jesus sprach zu ihr: «Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist. Und jeder, der im Glauben an mich lebt, wird nicht sterben in Ewigkeit. Glaubst du das?» Sie antwortete Ihm: «Ja, Herr, ich glaube, daß Du der Messias bist, der Sohn des lebendigen Gottes, der in die Welt kommen soll.»

Martha beklagt sich, wie sich die Heiligen beklagen, und Jesus tröstet sie, wie nur der Sohn Gottes zu trösten vermag: «Dein Bruder wird auferstehen.» Nimm dieses Wort tief in dich auf und erfreue dich daran! Was du verloren glaubst, ist nicht verloren, was du als tot betrachtest, wird leben.

Merke, wie einfach und bestimmt Jesus die zukünftige Auferstehung vorhersagt. Die Zukunft birgt für Ihn kein Geheimnis. Wohl wird es großer Wunder bedürfen, um sein Versprechen wahrzumachen, aber Gott ist ja allmächtig und gibt ebenso leicht das Leben wieder, wie Er es nimmt. Ein Wort genügt, um wieder herzustellen, was durch ein Wort geschaffen wurde.

Wie nimmt Martha die göttliche Verheißung auf? Es ergeht ihr wie so vielen Menschen, denen Gott zu lange zu zögern scheint. Wohl lebt in ihren Herzen die Hoffnung; aber die Erfüllung scheint noch fern. — «Ich weiß, daß mein Bruder auferstehen wird», sagt sie. «Ich weiß, daß all unsere Leiden ein Ende haben und alle Zweifel eine Lösung finden werden; aber dieser Zeitpunkt ist noch ferne.» Höre nun, wie der Heiland antwortet: «Ich bin die Auferstehung und das Leben. Meine Ankunft soll der Welt das Leben bringen, die Toten werden auferstehen, und alle Trauernden und Weinenden werden Trost finden.» Und dann fügt Er hinzu: «Glaubst du das?»

Bringe dem Heiland mit Martha die Huldigung eines vollkommenen Glaubens dar und vertraue seiner Liebe alle deinen Hoffnungen und Wünsche an.