191. Das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum

(Lk 13)

 

I Jesus betont die Notwendigkeit der Buße

Zu eben der Zeit kamen einige zu Jesus und erzählten Ihm von den Galiläern, deren Blut Pilatus vergossen hatte, während sie gerade opferten. Er sprach zu ihnen: «Meint ihr, diese Galiläer seien größere Sünder gewesen als alle übrigen Galiläer, weil sie das erlitten haben? Nein, sage ich euch. Aber wenn ihr euch nicht bekehrt, werdet ihr alle gleichfalls umkommen.»

Höre, wie man dem Heiland die Botschaft überbringt, an die Er so heilsame Lehren anknüpft! Jesus arbeitet beständig am Heil seiner Zuhörer, aber es ist sehr schwer, sie von der Notwendigkeit ihrer Bekehrung zu überzeugen.

Was hatte sich in Jerusalem zugetragen? Die göttliche Gerechtigkeit hatte zugelassen, daß eine Anzahl Galiläer im Tempel überfallen und getötet wurden. Die Juden sind im ersten Augenblick sehr erregt über den Vorfall. Sie beklagen die unglücklichen Opfer, machen aber keine Anwendung auf sich selbst, und so würde das ganze Ereignis bald vergessen sein. Doch Jesus sucht seine Zuhörer zum Nachdenken zu bringen. Sind sie etwa besser als ihre ermordeten Brüder, und haben sie nicht ein gleiches Strafgericht verdient? Wenn die göttliche Barmherzigkeit sie bisher verschonte, dann geschah das sicher nicht ihrer Unschuld wegen. Darum warnt sie der Herr: «Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auf gleiche Weise umkommen.»

Denke über diese ernste Drohung nach und nimm sie dir zu Herzen! Wenn du aufrichtig dein Gewissen erforschest und dich an alle beschämenden Einzelheiten deiner Vergangenheit erinnerst, so wirst du genügend Grund finden, dich tief zu verdemütigen, und du wirst erkennen, daß Gott dich nur aus Barmherzigkeit verschont hat. Der Augenblick ist gekommen, dich endgültig zu bekehren. Wer unbußfertig stirbt, ist rettungslos verloren, und wer seine Bekehrung aufschiebt, setzt sich der Gefahr aus, in seinen Sünden zu sterben.

 

II Jesus fordert die Juden nachdrücklich auf, ihre Bekehrung nicht länger aufzuschieben

Dann trug Er folgendes Gleichnis vor: «Jemand hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt. Er kam und suchte Frucht an ihm, fand aber keine.»

Durch das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum zeigt der Heiland seinen Zuhörern, wie groß die Gefahr ist, in der sie schweben.

Stelle dir den Baum vor, von dem Jesus spricht, der trotz des fruchtbaren Bodens, trotz der liebenden Sorge, die man ihm angedeihen ließ, und trotz der Geduld, mit der man sich immer wieder um ihn bemühte, unfruchtbar geblieben ist! Findest du nicht, daß du ihm gleichst?

Der Herr des Weinbergs kommt, um Früchte von dem Baum zu pflücken, den er gepflanzt hat. So macht Gott auch über dich sein Hoheitsrecht geltend. Du bist erschaffen, um Gott zu verherrlichen, Ihn zu lieben und Ihm zu dienen. Du wirst diesen Anforderungen nur dann gerecht, wenn du in vollständiger Abhängigkeit von Gott lebst, die Werke seiner Barmherzigkeit und Liebe förderst und dich bestrebst, in allem seinem göttlichen Sohn ähnlich zu werden. Das sind die Früchte, die Gott von dir verlangt. Jeder Same muß Frucht bringen. Die Blüten allein genügen nicht, Gott fordert die reifen Früchte echter Tugenden.

Wie steht es mit dir? Hast du durch deine Tugenden und deine guten Werke wirklich die göttliche Ehre gefördert oder bist du durch Vergnügungssucht, Pflichtvergessenheit, durch allzu große Freiheit im Reden und Handeln oder durch ständige Selbstsucht unfruchtbar geblieben? Bemühe dich, die Gefahr, in der deine Seele schwebt, zu beseitigen! Denn der Augenblick wird kommen, da Gottes Langmut seiner Gerechtigkeit weichen muß.

Da sprach er zum Winzer: «Nun komme ich schon drei Jahre und suche Frucht an diesem Feigenbaum, finde aber keine. Hau ihn um! Wozu soll er noch den Boden wegnehmen?» Der Herr zählt die Stunden, die Tage und Jahre deiner Unfruchtbarkeit und wird im gegebenen Augenblick sagen: «Ich werde dieser widerspenstigen Seele nicht länger nachgehen, sondern ihr meine Gnade entziehen Dieser Baum soll umgehauen werden und verdorren.» Hüte dich vor diesem Schicksal!

 

III Jesus zeigt, wie die göttliche Barmherzigkeit uns immer wieder entgegenkommt

Jener erwiderte ihm: «Herr, laß ihn noch dieses Jahr stehen. Ich will um ihn herum aufgraben und Dünger einlegen. Vielleicht bringt er dann künftig Frucht. Andernfalls magst du ihn umhauen lassen.»

Den Sündern wird eine letzte Gnadenfrist gewährt. Der Menschensohn selbst erwirkt sie uns, indem Er zum himmlischen Vater fleht: «Noch für ein Jahr, nur noch für kurze Zeit Barmherzigkeit!»

Frage deinen Heiland, um welchen Preis Er diesen Aufschub erlangt hat! All seine Gebete, die ganze Bitterkeit seiner Todesangst, die unbeschreiblichen Schmerzen und Qualen seines Todes und alle Schmach, die Ihm zuteil wurde, hat Er dafür aufgeopfert. Kannst du bei so viel Liebe gefühllos und gleichgültig bleiben? Wenn du dem Ruf des Erlösers nicht folgst, dann hat Er für dich sein Blut umsonst vergossen. Der Tod kommt, und wohin der Baum fällt, da bleibt er liegen. Vielleicht sind die Erleuchtungen, die du jetzt empfängst, und die Regungen der Gnade, die dich drängen, eine letzte Mahnung, von deren Benutzung dein ewiges Heil abhängt. Schenke ihr Gehör! Wirf dich dem Heiland, der so großmütig für dich eintritt, zu Füßen und lege deine Zukunft vertrauensvoll in seine Hände! Fasse den festen Entschluß, seiner Geduld und Sorgfalt von jetzt an treu zu entsprechen!