183. Jesus ruft das Wehe über die Pharisäer (II)

(Mt 23)

 

I Jesus bedroht die Pharisäer mit der Strenge der göttlichen Gerechtigkeit

«Weh euch, ihr Gesetzeslehrer! Ihr verpraßt die Häuser der Witwen und sagt dafür lange Gebete her. Darum werdet ihr ein strengeres Gericht zu erwarten haben.»

Höre aufmerksam den Vorwurf, den Jesus hier den Pharisäern und Schriftgelehrten macht. Diese Menschen benutzen das Gesetz und die Religion, um sich in die Angelegenheiten anderer einzumischen. Sie erstreben zeitlichen Gewinn bei Dingen, die einzig zur Ehre Gottes gereichen sollten, und verfolgen selbst bei den Werken der Frömmigkeit nur ihren eigenen Vorteil. Wehe jenen, die Gott also dienen, wehe ihnen, die durch solches Verhalten den Feinden Gottes Gelegenheit bieten, seinen Dienst und sein Gesetz in Verruf zu bringen! Alle, die in ihre Fußstapfen treten, sind Verräter, die Christus nicht als seine Jünger anerkennt.

Jesus beschuldigt die Pharisäer ferner, dem Volk unerhörte, drückende Lasten aufzulegen. Darin erkennen wir einen weiteren Charakterzug falscher Frömmigkeit. Jesus sagt: «Dadurch, daß ihr den Gläubigen endlose Gebete, überflüssige Vorschriften und ungesetzmäßige religiöse Übungen aufbürdet, erschwert ihr ihren Weg zum Himmel und setzt eure Herrschsucht an die Stelle der wahren Religion.»

Es ist Gottes Wille, daß die Religion unsere Seele erquicke, unsere Sorgen erleichtere und uns in unseren Leiden tröste. Die Pharisäer aber hatten sie durch ihre unvernünftige Strenge zum Schrecken der Gläubigen und zum Überdruß der Schwachen gemacht. Wehe ihnen!

Wende auch du dich entrüstet von ihrer Lehre ab und fasse den festen Entschluß, niemals unberechtigte Forderungen an andere zu stellen!

 

II Jesus verdammt die willkürliche Gesetzesauslegung der Pharisäer

«Weh euch, ihr blinden Führer! Ihr sagt: Wenn einer beim Tempel schwört, so gilt das nicht. Schwört er aber beim Gold des Tempels, so ist er gebunden. Ihr Toren und Blinden, was steht denn höher: das Gold oder der Tempel, der das Gold erst heiligt?»

Woraus schöpfen die Pharisäer die Vorschriften, die sie anderen aufdrängen wollen? Wie dürfen sie sich anmaßen, den Wortlaut und den Sinn des Gesetzes zu erklären? Jesus überführt sie, daß sie dabei nicht für die göttliche Ehre eifern, sondern einzig für ihre Meinungen und Interessen. Nur was ihnen im Licht ihrer falschen Wissenschaft wahr erscheint, hat Wert für sie, und sie verwerfen rücksichtslos alles, was ihrer Denkart widerspricht. Sie sind nicht zu bekehren, und deshalb wehe ihnen! — Es ist Gott unmöglich, seinen heiligen Willen durch den Willen eines Geschöpfes verdrängen zu lassen oder zu dulden, daß rein menschliche Anordnungen an die Stelle des göttlichen Gesetzes treten.

Bitte den göttlichen Meister, daß du niemals das Opfer falscher Lehrer werdest, die durch angemaßte Autorität leichtgläubige Menschen verwirren und ins Verderben stürzen. Nimm deine Zuflucht zu den wahren Gesetzeslehrern, die Christus selbst in unserer Mitte erweckt.

 

III Jesus tadelt öffentlich die Heuchelei der Pharisäer

«Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr gleicht übertünchten Gräbern.1 Von außen sehen sie zwar schön aus, inwendig aber sind sie voll von Totengebein und allem Unrat.»

Man tut einem Heuchler kein Unrecht, wenn man ihn entlarvt. Man verhilft nur der Tugend, die er entehrt, wieder zu ihrem Recht, indem man sie vor Verwechslung mit dem Laster schützt. Deshalb verfährt auch Jesus mit den Heuchlern so streng.

Höre wie der Heiland seinen Unwillen äußert! Nähere dich diesen übertünchten Gräbern, atme den Modergeruch ein, der ihnen entströmt, und du wirst in etwa verstehen, welch grenzenloser Abscheu Gott erfüllt, wenn Er gewahrt, wie die Verderbnis eines solchen Lebens sich mit dem Schein der Tugend umgibt. Diese Menschen tragen Religion zur Schau, um ihren Mitmenschen erdrückende Lasten auflegen zu können, und entehren gleichzeitig die Religion, indem sie im geheimen dem Laster frönen. Gott durchschaut sie, darum wehe ihnen!

Verstehe die Entrüstung des Heilands recht! Er beschuldigt nicht jenen der Heuchelei, der, von seinen Leidenschaften hingerissen, in die Sünde fällt. Über diesen ruft er kein Wehe aus. Er ruft ihn vielmehr liebevoll zurück und reicht ihm die Hand, damit er sich von seinem Fall erhebe. Er schickt ihm seine Engel, um ihn zu beschützen und auf den rechten Weg zurückzuführen. Was aber Jesus nicht dulden kann und was Er aufs schärfste verurteilt, ist der Stolz eines Elenden, der mit der Tugend prahlt, während er sich wissentlich der Sünde hingibt. Es ist die Maske der Heiligkeit auf einem durch Laster entstellten Antlitz. Seine Heuchelei wird allen aufrichtigen Seelen zum Stein des Anstoßes, dessen sich Satan bedient, um sie irrezuführen und vom Heiland zu entfernen.

Die falsche Frömmigkeit geht Hand in Hand mit der Gottlosigkeit. Darum duldet Jesus sie nicht, und deshalb sollst auch du sie verabscheuen. Wenn dein Gewissen dir in dieser Beziehung etwas vorwirft, so beginne sogleich damit, an deiner Besserung zu arbeiten!

1 Man übertünchte jährlich die Gräber und ihre Einfassung, entweder um sie zu verschönern, oder um sie kenntlich zu machen, damit man sich nicht durch Berührung mit ihnen verunreinigte.