145. Die Verklärung Christi

(Lk 9, Mt 17, Mk 9)

 

I Jesus führt drei seiner Jünger auf den Berg Tabor

Es war etwa acht Tage später1, da nahm Jesus den Petrus, Johannes und Jakobus mit sich und stieg auf den Berg, um zu beten.2

Suche den Heiland in liebendem Eifer auf und freue dich, Ihm am Fuß des Tabors zu begegnen! Welche geheimen Beweggründe haben Ihn hierher geführt, unmittelbar nach den vergangenen ernsten Tagen? Jesus will seinen Aposteln Beruhigung und Trost gewähren, weil seine letzten Unterweisungen ihre Gemüter erschreckt haben. Damals hat Er vom Kalvarienberg gesprochen, nun will Er ihnen den Himmel zeigen. Die Tage des Kampfes werden unterbrochen von Tagen der Freude. Also Mut und Vertrauen, meine Seele! Der Himmel ist nie weit vom Kalvarienberg.

Jesus wählt Petrus, Jakobus und Johannes zu seiner Begleitung. Beglückwünsche die drei bevorzugten Apostel! Warum erwählt Jesus gerade sie? Weil es Gott so wohlgefällt. Gott teilt seine außerordentlichen Gaben ganz nach Belieben aus, wem und wie es Ihm gefällt. Die fühlbaren Tröstungen stehen nicht immer im Verhältnis zum Verdienst. Es gibt viele heilige Seelen, die Gott am Fuß des Berges läßt und die die Freuden des Himmels erst beim Eintritt in denselben kennenlernen. Gottes freie Gnadenwahl darf dich nicht betrüben. Ergib dich gern darein, daß andere mehr Trost genießen als du, aber gib nicht zu, daß andere dich in der Liebe und Treue zu Gott übertreffen.

Begleite die drei Apostel auf dem Weg zum Tabor! Wovon sprechen sie? Was haben sie ihrem Meister zu sagen? Haben sie schon ein Vorgefühl des Glücks, das droben ihrer harrt? Genieße mit ihnen den stillen Frieden dieser schönen Stunde!

1 Da das Fest der Verklärung in den ersten Tagen des August gefeiert wird, darf man annehmen, daß diese Begebenheit sich um diese Zeit des Jahres zutrug.

2 Die ehrwürdigsten Überlieferungen bezeichnen den Tabor als den Ort der Verklärung. Ein etwas steiler, aber bis zum Gipfel gangbarer Pfad steigt durch ziemlich dichtes Gestrüpp den Berg hinan. Hie und da sind Stufen in den Felsen gehauen. In einer Stunde kann man den Gipfel erreichen. Der Tabor liegt in Untergaliläa, zwei Stunden von Nazareth entfernt, ungefähr 700 Meter über dem Meeresspiegel, aber nur 400 Meter über der Ebene von Esdrelon. Seine Abhänge sind mit Zypressen, Terebinthen und anderen Bäumen und Sträuchern bewachsen. Die Gipfelfläche des Berges mißt ungefähr 800 Meter in der Länge und 400 Meter in der Breite.

 

II Jesus wird vor ihnen verklärt

Während Er betete, ward Er vor ihnen verklärt.1

Betrachte Jesus im Gebet! Er hat die Apostel mitgenommen, um sie zum Gebet anzuleiten. Er will ihnen übernatürliche Freude geben und führt sie deshalb zum Gebet. Warum? Weil das ganze Glück des Menschen in Gott beruht, und der Mensch findet Gott im Gebet. Da teilt sich Gott der Seele mit; sie wird himmlischer Erleuchtung gewürdigt und der Freuden der Auserwählten teilhaftig.

Knie nieder und fühle dich recht klein im Glanze des Lichtes, das hier erstrahlt! Wenn du wahrhaft zu beten verständest, so würdest du auch bisweilen etwas von dem verkosten, was hier der verklärte Heiland an sich erfährt. Im Gebet vollzieht sich die gnadenvolle Umwandlung in einen neuen, übernatürlichen Menschen, im Gebet gibt Gott uns ein neues Herz und einen neuen Geist, andere Ansichten und Gedanken. Im Gebet entzündet sich das Feuer der göttlichen Liebe in uns, im Gebet wird die Seele von aller Befleckung gereinigt und Gott wohlgefällig. Während desselben verwandelt sich alle kleinliche Furcht in festes Vertrauen.

Verweile in tiefer Sammlung beim verklärten Heiland! Sein Angesicht glänzte wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie der Schnee. Ist es dir nicht ein Trost, dein Leben mit allen Opfern, Entsagungen und Kämpfen, die der Heiland von dir verlangt, im Licht der Verklärung zu betrachten? Sieh die Dinge des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens in ihrem wahren Licht, im Glanz des Tabors!

1 Eine Krypta bezeichnet seit den ersten Jahrhunderten der Kirche den Ort, wo der göttliche Erlöser stand, als Er Sich Seinen Aposteln im Glanz seiner Verklärung offenbarte. Über diesem heiligen Ort erhebt sich jetzt eine herrliche Basilika.

 

III Jesus erfüllt seine Jünger mit himmlischem Trost

Und siehe, es erschienen ihnen Moses und Elias und redeten mit Ihm. Sie sprachen von seinem Ende, das Er in Jerusalem finden sollte.

Zwei hervorragende Gestalten des alten Bundes finden sich bei Jesus ein. Beide waren Märtyrer der Ehre Gottes; darum dürfen sie an der Verklärung Jesu teilnehmen. Wie gern teilt Er seine Herrlichkeit mit jenen, die bereitwillig hienieden das Kreuz mit Ihm tragen!

Wovon spricht Er mit Moses und Elias? Von seinem Scheiden aus dieser Welt, vom Kalvarienberg und von der Notwendigkeit des Leidens. Die Taborfreuden sind nur etwas Vorübergehendes. Kein himmlischer Gnadenerweis hebt für uns das strenge Gesetz auf, das uns zum Leiden verurteilt. Nimm teil an der Unterredung Jesu, du wirst dadurch das Leiden liebenlernen. Sieh im Licht des Tabors von weitem den Kalvarienberg, den du bald besteigen mußt. Scheint dir der Weg, von hier aus gesehen, nicht leichter und scheinen die Opfer, die deiner dort warten, nicht erträglicher? Auf dem Tabor wirst du in das Geheimnis der Entsagung und Selbstverleugnung eindringen. Schöpfe Mut für die Zeit des Kampfes!

Petrus aber und die bei ihm waren, wurden vom Schlaf übermannt. Als sie aufwachten, sahen sie seine Herrlichkeit und die zwei Männer, die bei Ihm standen. Du siehst hier, wie man durch Nachgiebigkeit gegen die Natur sich des süßesten Trostes beraubt. Ist es nicht töricht, an der Himmelspforte zu schlafen? Und doch, mußt nicht auch du dir vorwerfen, daß du manchmal die Gnadenwirkungen durch solche Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit in dir gehemmt hast? Erhebe dich entschlossen aus diesem Zustand der Lauheit und hilf, soviel du kannst, auch andern, sich aus ihm herauszuarbeiten! Laß die göttliche Gnade nicht unbenutzt vorübergehen!

Petrus sprach zu Jesus: «Meister, hier ist gut sein! Willst Du, so wollen wir drei Hütten bauen, Dir eine, dem Moses eine und dem Elias eine.» Er wußte nämlich nicht, was er sagte. Beim Anblick des Wunders der Verklärung gerät Petrus außer sich. Das Glück, das er bisher nur dunkel geahnt hat, sieht er urplötzlich verwirklicht. Auf die überraschendste Weise hat sein Herz gefunden, was es suchte, alle seine Wünsche sind erfüllt. Höre ihn ausrufen: «Hier ist gut sein! Hier, wo man bei Dir ist, guter Meister, hier, wo man klar die Wahrheit Deiner Lehren faßt, hier, wo man die Schönheit Deines Antlitzes bewundert und wo die Güte Deines Herzens sich so deutlich offenbart, hier ist gut sein. Laß uns hier bleiben, wir wollen nicht mehr hinabsteigen.»

Nimm an dieser Freude lebhaften Anteil! Beschwöre den göttlichen Meister, Er möge dich auf seinem heiligen Berg in seinem Licht und in seiner Liebe befestigen, damit du von den trügerischen Vorspiegelungen der Welt gesichert seist.