124. Jesus betet auf dem Berg

(Joh 6, Mt 14,Mk 6)

 

I Jesus entläßt seine Jünger und entzieht sich der Menge, die Ihn zum König machen will

Als aber Jesus erkannte, daß sie kommen würden, um Ihn mit Gewalt fortzuführen und Ihn zum König zu machen, nötigte Er seine Jünger, in das Schiff zu steigen und vor Ihm nach Bethsaida hinüberzufahren, indes Er das Volk entließ. Er zog sich wieder auf den Berg zurück, ganz allein.1

Jesus flieht die Ehren, welche die Dankbarkeit des Volkes Ihm zugedacht hat. Nicht menschliche Ehren sind das Entgelt, das Er für seine Wohltaten sucht. Herrschen will Er freilich, aber Er strebt nur nach der Herrschaft über de Seelen. Verweile in stiller Sammlung beim Heiland. Die Nacht ist angebrochen, die Menge hat sich verloren, tue Apostel haben sich entfernt. Nun bist du der einzige Gefährte des Herrn auf seinem Weg zur einsamen Bergeshöhe. Bitte Ihn, den Pfad mit seinem göttlichen Licht zu erhellen.

«Meister, wohin gehst Du? Warum fliehst Du das, was die Welt so hoch einschätzt, und warum verachtest Du die Ehren, welche die Welt so eifrig sucht?» — «Komm mit mir!» lautet die Antwort Jesu. «Ich habe dir Besseres zu bieten, als das, was der Eitelkeit schmeichelt. Folge mir in die Einsamkeit. Ich will dich lehren, wo wahre Freude, wahre Größe und wahre Ruhe zu finden sind.» Sammle dich und erwecke in deinem Herzen eine heilige Begierde, dies Geheimnis zu erfassen.

1 Es handelt sich hier um Bethsaida in der Nähe von Kapharnaum am Westufer des Sees.

 

II Jesus sucht Ruhe im Gebet

Und nachdem Er das Volk entlassen hatte, stieg Er auf den Berg, um in der Einsamkeit zu beten. Da es Abend geworden, war Er allein daselbst.2

Knie dich neben Jesus nieder! Im Gebet sucht Er die Güter, welche die Welt nicht geben kann. Suche in diese Gesinnung des Heilands einzudringen. Ist Gott nicht in Wahrheit das allerhöchste Gut? Sind die Wonnen, die im vertrauten Umgang mit Gott gefunden werden, nicht allen Trostes der Geschöpfe vorzuziehen? Ist die Ehre, mit Ihm verweilen zu dürfen, nicht unendlich erhaben über alle anderen Ehren?

Lerne betrachten! Lerne dich loszureißen von weltlichen Zerstreuungen, aller Selbstsucht zu entsagen und im Gebet Gott zu finden und zu genießen. Wo anders als im Gebet wirst du erleuchtet werden, um die Täuschungen der Eigenliebe zu erkennen und Mut zu schöpfen zur Selbstverleugnung? Licht und Stärke findet das Herz nur bei Gott, mit dem uns das Gebet vereint. Sage also nie: «Wozu soll ich betrachten?»

Vereinige dich mit dem betenden Heiland. Dringe tief in das Innere seiner heiligen Seele ein! Worauf sind seine Gedanken, sein Streben gerichtet? Empfiehl dem göttlichen Meister jene, die deinem Herzen nahe stehen. Rede mit Ihm von allen Leidenden und Betrübten. Bete zum Schluß das Vaterunser!

2 Es war einer der Hügel, welche in der Nähe von Bethsaida-Julias liegen, östlich von der Ebene, in welcher das Wunder der Brotvermehrung stattgefunden hat.