113. Das ungläubige Nazareth

(Lk 4, Mt 13, Mk 6)

 

I Jesus wird von seinen Mitbürgern verkannt

Sie sprachen untereinander: «Woher mag Er das haben? Welch eine Weisheit ist Ihm doch verliehen! Welch große Wunder geschehen durch seine Hände! Ist das nicht der Zimmermann? Der Sohn Marias?»

Jesus beginnt den Kampf für die Wahrheit angesichts der Ihn umgebenden Menge. Soeben bewunderte sie Ihn noch, jetzt fängt sie an zu murren, Ihm zu widersprechen und sich von Ihm abzuwenden. Woher diese Umwandlung und Aufregung? Jesus hat gesagt: «Ich bin der von Gott Gesandte. Ich komme, um zu versöhnen, zu trösten, zu heilen.» Mit diesen Worten sagte der Heiland gleichzeitig: «Ihr seid Sünder, schwach und ohnmächtig, ihr bedürft meiner.» Da regt sich der Stolz und lehnt sich auf. Wer ist dieser Mensch?» rufen die Nazarener, «daß Er es wagt, eine solche Sprache zu führen? Ist Er nicht der uns bekannte Zimmermann, der Sohn des Zimmermanns Joseph? Haben wir Ihn nicht bei der Arbeit gesehen, wie den Geringsten aus uns? Er ist nicht, wofür Er sich ausgibt.»

Höre das Murren der Eifersucht, die Äußerungen der Menschenfurcht, die hämischen Bemerkungen des Unglaubens. Verachte das Lärmen der Menge und stärke dich im Glauben an Jesus. Man greift seinen göttlichen Ursprung an; verteidige du denselben. Erkenne du Ihn als das an, was Er ist! Das Meisterwerk seiner allmächtigen Liebe verhüllt Gott unter unscheinbarem Äußeren. Daraus erwächst für dich die Pflicht, es trotz seiner Verborgenheit zu entdecken. Erkenne in der Menschheit Jesu die verhüllte Gottheit. Lerne von der äußeren Erscheinung zur Wirklichkeit, vom Endlichen zur Unendlichkeit vorzudringen. Wozu sich in unbegründeten Zweifeln aufhalten? Auch die größten Wunder kosten Gott nichts. Weshalb sie in Frage stellen? Besser ist es, in den Staub gebeugt, den Gottmenschen anzubeten, der, obgleich Er dem Vater gleich ist, dennoch wie einer aus uns hat werden wollen, um uns vollkommen anzugehören.

 

II Jesus tadelt ihren Unglauben

So nahmen sie an Ihm Anstoß. Jesus aber sprach zu Ihnen: «Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seiner Vaterstadt, bei seinen Verwandten und in seiner Heimat.»

Die empörte Menge beruhigt sich nicht, immer wieder tönen die Worte des verletzten Stolzes an Jesu Ohr: «Beweise Deine Behauptung, wirke Wunder!» Wozu? Die Stolzen werden auch durch Wunder nicht bekehrt. Jesus kommt ihren Fragen zuvor, und in diesem Sinn ist die Rechtfertigung, die in seinen Worten liegt, zu verstehen. Die Wunder Gottes geschehen für die Geringen und Demütigen, für solche, die sich schwach, untauglich und sündig fühlen und bekennen. Die Nazarener gehören nicht zu diesen. Sie suchen nur Befriedigung ihrer Neugierde und möchten Stoff zu neuen Einwendungen haben, wenn sie Wunder beanspruchen. Jesus wirkt kein Wunder. Lerne aus diesem Vorgang und bestrebe dich, göttlicher Wunder würdig zu werden!

 

III Er wird von ihnen verfolgt

Bei diesen Worten gerieten alle in der Synagoge in Wut. Sie sprangen auf, stießen Ihn zur Stadt hinaus und drängten Ihn bis an den Rand des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, um Ihn hinabzustürzen.1 Er aber schritt mitten durch ihre Reihen hindurch und zog weiter.

Die Art und Weise, wie ein Tadel aufgenommen wird, zeigt oft, wie sehr er begründet ist. Hier bietet sich das Schauspiel des Hasses im Kampf mit der Wahrheit. Man will den Heiland, die Hoffnung der Schwachen, den Trost der Betrübten und den Erlöser der Gefallenen töten. Kannst du ein solches Verbrechen bejahen? Eile in die Nähe Jesu, dorthin, wo Er bedroht ist. Suche Ihn zu decken. Nichts ist ruhmvoller, als freiwillig für die Sache Jesu zu leiden und sie bis aufs Blut zu verteidigen.

Der Abgrund, in den man den Erlöser stürzen will, ist tief, aber fürchte nicht, hinabzustürzen. Denn Gott kann unmöglich jene verlassen, welche für die Ehre seines Sohnes streiten. In der höchsten Gefahr wird seine allmächtige Hand dich schützen. Stehe also furchtlos fest und verachte kühn alle Feinde der Wahrheit. Auch heute noch sind diese von gleichem Haß erfüllt. Arbeite ihnen mutig entgegen durch deinen lebendigen Glauben und durch treue, innige Beweise deiner Liebe zu Jesus, damit die Wahrheit triumphiere.

1 Der steile Felsen ist ungefähr dreiviertel Stunden von Nazareth entfernt. Auf dem Weg dorthin gelangt man zuerst in ein fruchtbares Tal, in welchem Getreide angebaut wird, Dann folgt man jenseits eines kleinen Hügels auf einem rauhen und steilen Pfad den Windungen eines Flusses, der sich durch eine enge Felsschlucht den Weg bahnt. Durch einen Felsweg, der mit Gestrüpp und Terebinthen bestanden ist, gelangt man zum Gipfel, der 200 Meter über die Ebene Esdrelon emporragt.