105. Das Gleichnis vom fruchtbaren Samenkorn

(Mk 4)

 

I Jesus erklärt seinen Jüngern das Wirken Gottes in der Seele

«Das Himmelreich ist gleich einem Manne, der Samen auf das Ackerland streut. Mag er schlafen oder wachen, bei Tag und bei Nacht: der Same sprießt auf, ohne daß er es merkt.»

Wohne den Unterweisungen Jesu mit Ehrfurcht und Gelehrigkeit bei. Bemühe dich, den Sinn der Parabel zu verstehen. Deine eigene Seele ist das Arbeitsfeld des himmlischen Vaters, welcher der Urheber alles Lebens und Wachstums ist. Seine Aufmerksamkeit ist auf sein Werk gerichtet, wie jene des Landmanns auf das Feld, das er bebaut.

Wenn ich morgens erwache, so finde ich meinen himmlischen Vater bereits an der Arbeit für mich. Er lauscht mir, noch bevor ich rede. Wenn ich zum Gebet komme, finde ich Ihn schon auf mich wartend. Nehme ich meine Arbeit wieder auf, so hat mein himmlischer Vater bereits für alle Hilfe, die ich brauche, gesorgt. Von Ihm kommt alle Freude, die meinen Lebensweg erhellt. Muß Er mir Schmerz senden, so hat Er schon den Trost bereit, der ihn mir versüßen soll. Wenn ich abends ruhig einschlafe, so trägt Er Sorge für den kommenden Tag.

Er ist mir auf das Arbeitsfeld, das Er mir angewiesen hat, vorausgeeilt, und dort begegne ich Ihm jeden Morgen. Bevor ich das Licht der Welt erblickte, sah Er mich schon. Ja, Er liebte mich bereits, ehe ich ein Herz besaß, Ihn zu lieben. Noch kannte niemand meinen Namen; Gott kannte ihn von Ewigkeit. O meine Seele, erkenne Gott als deinen liebenden Vater; bete Ihn an und liebe Ihn. Sprich mit inniger Andacht: «Vater unser, der Du bist im Himmel! Geheiligt werde Dein Name!»

 

II Jesus zeigt den Jüngern, daß Gott mit Recht die Früchte dieses Wirkens erwarten darf

«Wenn dann die Frucht sich zeigt, legt er alsbald die Sichel an.»

Unser himmlischer Vater ist allgegenwärtig in seiner Schöpfung. Er selbst gibt allen Geschöpfen das Leben. Jesus hat es soeben gesagt. Warum soviel Sorgfalt für uns von Seiten einer so großen Majestät? Präge es für immer deinem Gedächtnis ein: Gott ist sich selbst das Ziel all seiner Werke. Er arbeitet für seine eigene Ehre, wenn Er sich mit uns beschäftigt. Fürchte also nicht mehr, daß Er dich verlasse. Doch wenn Gott uns seinen Dienst zur Pflicht macht, so geschieht dies zu unserm Besten. Er bedarf deiner Tugenden, deiner Siege und deiner Treue nicht, und wir können zur Erhöhung seiner Seligkeit nichts beitragen.

Aus reiner Liebe hat Er uns das Dasein gegeben, um an seiner Ehre zu arbeiten. Das Geschöpf soll an der Ehre seines Schöpfers arbeiten, so verlangt es die ewige Weisheit. Dadurch betätigt es seinen Dank gegen Gott, der ihm alles gegeben hat. Die Ehre Gottes und das Glück des Menschen gehen zusammen. Gott verlangt nur, um zu geben. Wenn Gott seine Ehre sucht, so will Er damit unser Glück!

Fang endlich an zu verstehen, was dein himmlischer Vater will, wenn Er an deine Türe klopft, wenn Er etwas von dir verlangt! In dem geringsten Auftrag vertraut Er dir ein großes Werk an, zu dessen glücklichem Erfolg Er dir alles an die Hand gibt. So erneuere dich denn in kindlichem Vertrauen zu Ihm. Überlaß dich großmütig seiner väterlich liebreichen Führung. Lerne immer besser, dich gläubig seiner Vorsehung zu überlassen!