103. Das Gleichnis vom Unkraut (I)

(Mt 13)

 

I Hinweis auf den Feind alles Guten

Ein anderes Gleichnis trug Er ihnen vor: «Das Himmelreich gleicht einem Manne, der guten Samen auf seinen Acker säte.»

Siehe diesen Mann, der guten Samen auf seinen Acker ausstreute. Er versinnbildet den Vater der großen menschlichen Familie. Grüße mit Liebe den himmlischen Sämann, der ohne Unterlaß Samenkörner in die offenliegenden Furchen streut, die Saat des ewigen Lebens. Gott selbst führt seine Geschöpfe auf die richtige Bahn durch seine väterliche Vorsehung. In jedem Augenblick bietet Er uns selbst die Mittel zum Fortschritt an. Jeden unserer Schritte unterstützt Er und gibt demselben die Richtung auf das Ziel.

Gerade diese göttlich gütige Vorsehung und Sorge, die uns umgibt, weckt den furchtbaren Haß des bösen Feindes. «Während aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut mitten unter den Weizen und ging davon.» Dieser Feind, auf den Jesus hinweist, ist der Satan. Vornehmlich aus Feindschaft gegen Jesus haßt uns der Teufel. Durch die Wirksamkeit der Gnade in uns wird die Ehre Gottes vermehrt; aus Haß gegen Gott beeilt sich nun der böse Feind, diese Tätigkeit der Gnade zu behindern. Er erspäht den geeigneten Augenblick und benutzt jede Gelegenheit, um uns Fallstricke zu legen und das Werk Gottes in uns zu vernichten.

«Als dann der Halm aufschoß und Frucht ansetzte, kam auch das Unkraut zum Vorschein.» Gott und der Satan arbeiten gleichzeitig in unserem Leben. So wundere dich denn nicht, fast plötzlich, trotz deines eifrigen Strebens, den nachteiligen Einfluß des bösen Feindes zu verspüren, zuweilen noch am Abend eines deiner besten Tage oder nach Empfang besonderer Gnaden oder nach recht ernstlichen Vorsätzen. Je mehr dir Gott gegeben hat, desto mehr sucht Satan, dich zu berauben. Seine Freiheit, uns zu schaden, ist zwar begrenzt, aber dennoch bleibt der Kampf eine bis zum Tod dauernde Notwendigkeit. Nur um den Preis mutigen und kraftvollen Ringens werden wir die uns anvertrauten Schätze bewahren.

 

II Ermutigung zum Kampf

Da traten die Knechte des Hausvaters herzu und sprachen zu ihm: «Herr! Hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut?» Er antwortete ihnen: «Das hat der Feind getan.»

Die Knechte wundern sich beim Anblick des üppig wuchernden Unkrauts. Was tun sie? Sie geben dir ein nachahmungswürdiges Beispiel. Sofort zeigen sie die Sache bei ihrem Herrn an. Sie erbitten sich Rat bei jenem, der die Pflicht hat, sie zu leiten. «Woher das Unkraut?» fragen sie. Auf gleiche Weise fragst auch du, wenn du trotz so vieler Gnaden und nach so guten Vorsätzen dich noch so sehr zum Bösen geneigt und so wenig im Guten befestigt fühlst. «Das ist des Feindes Werk», antwortet dir der göttliche Hausvater; eine Antwort, die deinen Mut beleben muß. Lege dir nicht als Schuld bei, was nicht von dir herrührt. Werde auch nicht ungeduldig über eine solche Wahrnehmung. Die Knechte aber sprachen zu ihm: «Willst du, daß wir hingehen und es einsammeln?» Und er sprach: «ja nicht! Damit ihr nicht etwa, indem ihr das Unkraut sammelt, zugleich mit demselben auch den Weizen ausreißt. Laßt nur beides miteinander wachsen bis zur Ernte.» Wenn Gott in der Welt, und vielleicht auch in deiner Seele, das Übel gewähren läßt, so geschieht dies nur, um Zeit und Gelegenheit zu glänzenderem Sieg zu geben. Aus dieser Art von Siegen erwächst Gott viel größere Ehre.

In späteren Betrachtungen wird dieser Gedanke Jesu noch mehr entwickelt werden. Halte indes schon jetzt für gewiß, daß das Böse um dich und in dir den Zweck hat, größeren Eifer für das geistliche Leben in dir zu wecken. Sich bei solchen Zuständen der Entmutigung überlassen, wäre Verkennung der göttlichen Absichten. Du bist nur für die Zustimmung verantwortlich, die du freiwillig dem Bösen machst, nicht aber für die Versuchungen. Wappne dich künftig mit Geduld, wenn die Stunde des Angriffs kommt! Erwecke in dir ein brennendes Verlangen, deine bisherigen Niederlagen durch glänzende Siege wett zu machen.