100. Das Gleichnis vom Sämann (I)

(Mt 13, Mk4, Lk 8)

 

I Jesus erklärt seinen Jüngern, daß es nicht allen gegeben ist, seine Worte zu verstehen

An jenem Tag ging Jesus aus dem Haus und setzte sich am See nieder. Er redete zu ihnen in vielen Gleichnissen1 und sprach: «Ein Sämann ging aus zu säen.»

Wer ist dieser Sämann? Niemand anders als Jesus selbst, der Urheber und Förderer jeden Fortschritts. Betrachte Ihn und sieh, wie Er sich dem Erdreich deiner Seele nähert. Er will den Samen seiner Lehre in die Furchen streuen, denn Er ist in diese Welt gekommen, um die Saat für die Ewigkeit zu bestellen. Jedes seiner Worte, sein leisestes Entgegenkommen, alles, was seinen Namen trägt und sein Gesetz verkündigt, schließt einen Keim für die Ewigkeit in sich.

Wie kann dieser Keim entwickelt werden? Jesus macht uns dies begreiflich, indem Er uns ermahnt, das göttliche Wort aufzunehmen, wie die Erde den Samen aufnimmt. Was uns das göttliche Wort auch immer sagt, es trägt in sich einen Keim und die Aussicht auf Ernte in der Ewigkeit. Die Zeit erhält also ihren Wert von der Ewigkeit, und jeder, der uns hindert, die Stimme Gottes, die uns von der Ewigkeit spricht, zu hören oder zu verstehen, der raubt uns unvergängliche Güter.

O meine Seele, warum bist du so zerstreut, wenn Gott in der geistlichen Lesung, in der Betrachtung, in der Predigt zu dir spricht? Warum wirst du so leicht müde, auf seine Stimme zu hören? Vielleicht weißt du die ewigen Güter nicht nach ihrem wirklichen Wert zu schätzen? Verzichte endlich auf alle eitlen Sorgen. Verlaß alles, was vergänglich ist, und richte dein Augenmerk ganz auf die Ewigkeit, und du wirst das Glück haben, die Stimme des Herrn zu vernehmen und zu verstehen und in unverbrüchlicher Treue Ihm zu folgen.

1 Als Jesus die Parabel vom Sämann verkündete, hatte Er die Hügel vor sich am Meer, deren fruchtbare Abhänge den See von Tiberias bis Kapharnaum begrenzen. Wenn Jesus die Augen erhob, hatte Er vor sich die wogenden Ährenfelder, den Fußpfad, der hindurch führte und einzelne kahle Felsen und Dornsträucher.

 

II Jesus beschreibt die verschiedenartige Aufnahme und Wirkung des Wortes Gottes

«Beim Säen fiel einiges auf den Weg, wurde zertreten, und die Vögel des Himmels pickten es auf. Anderes fiel auf steinigen Grund. Es ging zwar auf, verdorrte aber, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Wieder anderes fiel mitten unter die Dornen. Die Dornen wuchsen mit auf und erstickten es.»

Man kann also die zuvorkommende Gnade auf sehr verschiedene Weise aufnehmen. Gott verlangt, daß wir zur Erreichung seiner Absichten mitwirken. Er wird uns nicht ohne unser Zutun retten. Wir können seinen Absichten entsprechen; aber wir können sie auch vereiteln. Unsere Zukunft liegt folglich in unseren Händen. Wie stellst du dich dieser unendlich wichtigen Frage gegenüber? Hüte dich vor jeder Oberflächlichkeit; denn es handelt sich hier um eine glückliche oder unglückliche Ewigkeit.

Hast du keinen Grund zu fürchten? Wie entsprichst du der zuvorkommenden Gnade? Bringst du ihr die notwendige Aufmerksamkeit entgegen? Gleichst du nicht einem Ackerfelde ohne Zaun, das allen offen steht, wo der Feind von allen Seiten eindringt und den von Gott gestreuten Samen raubt? Herrscht in deiner Seele nicht der Lärm fortwährender Zerstreuung, gefährlicher Neugierde, weltlicher Vergnügen und übertriebener Geschäftigkeit, wodurch die heilsamen Anregungen der Gnade überhört, die guten Vorsätze und Gedanken unterdrückt werden? Gleicht dein Inneres nicht dem hart getretenen Boden, der mit Steinen, Unkraut und Dornen bedeckt ist? Dringe in das Innerste deiner Seele ein und erkenne die vom Feinde verursachten Verheerungen. Gedenke all der verscherzten Gnaden und der verschmähten Gunstbezeugungen Gottes. Erzürne über dich selbst. Nimm dir fest vor, deine geheime Anhänglichkeit an die Sünde aufzugeben, deine unruhige Geschäftigkeit zum Schweigen zu bringen und den schädlichen Einflüssen des bösen Feindes unüberwindliche Hindernisse entgegenzusetzen.

«Anderes fiel auf gute Erde und ging auf und trug hundertfältige Frucht.»

Strebe danach, ein fruchtbares Erdreich zu werden, in welchem die göttliche Saat aufgeht, wächst und hundertfältige Frucht bringt. Bitte den Herrn, über deine Seele das allmächtige Schöpferwort auszusprechen, durch welches Er im Anfang die Urmaterie der Erde ordnete und fruchtbar machte. Gib dich ohne Rückhalt den Einsprechungen der Gnade hin.