30. Betrachtung: Die dritte Stufe der Demut

 

Text

Die dritte Stufe der Demut ist es, wenn man sich aus Liebe zu Gott mit allem Gehorsam seinem Obern unterwirft und so den Herrn nachahmt, von dem der Apostel sagt: "Er ist gehorsam geworden bis zum Tode" (Phil. 2,8).

 

1. Anbetung

Es gilt hier alles, was schon in der 26. Betrachtung steht. Hier wollen wir ganz besonders das hocherhabene Beispiel Jesu ins Auge fassen. Er ist gehorsam geworden bis zum Tod am Kreuze. Es offenbart hier seine wunderbare Vollkommenheit. Einmal seine tiefe Demut.

Dieses Gehorsamsein verlangt von ihm den Verzicht auf seine himmlische Herrlichkeit und Macht. Er ist auf Erden gehorsam, er hat nichts zu sagen, nichts zu befehlen, er richtet sich nach dem Willen der Andern: und doch hätte er das Recht, der ganzen Welt seine Befehle zu erteilen.

Das ist, menschlich gesprochen, ein großes Opfer. Und mancher aus uns wäre in gleicher Lage versucht zu sprechen: Das geht mir zu weit; so weit wollte ich mich nicht heruntergeben. Oder wir würden wenigstens verlangen, daß man bei den Befehlen, die man uns gibt, Rücksicht darauf nimmt, daß man uns keine so schweren Befehle erteilt, weil wir ja doch eigentlich die Herrschergewalt in uns tragen.

Keine Spur von solcher Schwäche findet sich bei Jesus; er unterwirft sich rückhaltlos dem Gesetze des Gehorsams in tiefster, unergründlicher Demut.

Jesus ist die ewige Weisheit selbst; an Verstand und Klugheit übertrifft er himmelweit jeden Menschen. Und doch unterwirft er sich ihren Befehlen. Es kommt ihm nie die Versuchung zu sprechen: Das verstehe ich besser, das muß anders gemacht werden, als mir aufgetragen ist; ich kann mich nicht dazu hergeben, etwas so Verkehrtes auszuführen. Nein, er untersucht nicht, ob ein Befehl weise und vernünftig ist; er führt ihn gehorsam aus.

In ihm wohnt das allerfeinste Gerechtigkeitsgefühl und er fühlt es gewiß tief in seinem Herzen, wenn er von denen, die ihm zu befehlen haben, ungerecht behandelt wird. Aber dennoch widersetzt er sich ihnen nicht.

Wir wollen immer nur gerechten Befehlen gehorchen. Jesus aber hat gelehrt, wir sollten dem die linke Wange reichen, der uns auf die rechte schlägt, wir sollten uns jedem unterwerfen, mag er auch ungerecht sein. Und er hat selbst danach gehandelt; ist gehorsam gewesen bis zum Tod am Kreuz, wiewohl das Todesurteil, dem er sich unterworfen hat, das ungerechteste war, das jemals auf Erden gefällt worden ist.

Jesus gehorcht mit der größten Geduld auch da, wo die schmerzlichsten Opfer verlangt werden. Daran erkennt man, ob es mir ernst ist mit meinem Gehorsam, wenn ich mich da unterwerfe, wo es mir unbequem ist, wo es harte Mühe macht, wo ich glauben möchte, ich könne es nicht mehr leisten.

Es war Jesus nicht leicht, im Ölgarten zu sprechen: Vater, nicht mein Wille geschehe, sondern der deine; es war nicht leicht, den Henkern entgegenzugehen und ihnen zu sagen: Ich bin es; sein Kreuz und seine Passion waren ihm nicht leicht. Der Gehorsam wollte es: Jesus hat es erfüllt mit unendlicher Geduld und Demut.

Jesus gehorcht mit der größten Selbstverleugnung. Er stellt auch die edelsten Wünsche seines Herzens hinter den Gehorsam zurück. Es drängt ihn, menschlich gesprochen, gewiß, oft hinauszugehen in die weite Welt und den Heidenvölkern das Licht seiner Lehre zu bringen; er wußte, daß sie es viel bereitwilliger aufnähmen als die halsstarrigen Juden. Aber nein; ich bin nur zu den verlornen Schäfchen des Hauses Israel gesandt; der Gehorsam hielt ihn in den engen Grenzen des kleinen Palästina zurück.

Er überlässt es seinen Aposteln, vor allem dem heiligen Paulus, der heilsbegierigen Heidenwelt sein Himmelslicht zu bringen. All sein Tun und Lassen ist vom Gehorsam getragen; ein anbetungswürdiges Heldenspiel. Meine Seele, sprich deinem Heiland deine tiefste Huldigung, deine treueste Hingabe, deine herzlichste Liebe aus.

 

2. Dank

Jesus ist gehorsam geworden bis zum Tode; "dafür hat ihm Gott einen Namen gegeben, der da ist über alle Namen, so daß sich in seinem Namen die Knie aller beugen, die im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sind."

Weil das Opfer des Gehorsams so groß und so kostbar ist, belohnt es Gott in seiner Güte und Gerechtigkeit mit unvergänglichen Gütern, mit unendlicher Glorie und Herrlichkeit. Bei uns wird es auch so sein. Betrachte die Güter, die Gott der gehorsamen Seele verleihen will, und du wirst in dankbarer Liebe gern das Opfer des Gehorsams bringen.

Wie wird es dir sein, demütige Seele, wenn einst der Herr für deinen treuen Gehorsam deinen Namen verherrlichen wird, wenn die Engel des Himmels und die Heiligen sich beugen vor dir? Du kannst es heute auch nicht fassen; aber dieser Tag wird kommen, wenn du auf den Wegen des Gehorsams wandelst bis zum Ende.

Aber du brauchst nicht einmal so lange warten: hier auf Erden schon wird dein Heiland dir Herrschaftsmacht verleihen. Der Gehorsam macht dich zum König. Du herrschst über alles, was nicht Gott ist; denn du hast keinen über dir als Gott allein; ihm allein bist du unterworfen. Der Gehorsam ist eine stolze Tugend, die sich vor nichts beugt, als vor Gott und seinem Willen. Und die Unruhe und Ängstlichkeit darüber, ob dein Tun auch gottgefällig sei oder nicht, kennst du nicht.

Das Kleinste, was du im Gehorsam tust, hat unendlichen Wert. Was die Welt an ihren großen Männern als Heldentaten preist, das verschwindet vor der Größe jener unscheinbaren Handlungen, die du im Gehorsam verrichtest. Und die Großen der Welt sind klein gegen den, der sein Leben in treuem Gehorsam aus Liebe zu Gott zugebracht hat; sie alle müssen sich vor ihm neigen; denn Gott hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen weltlicher Größe ist. Siehe, es lohnt Gottes Güte den Liebesgehorsam gegen ihn.

 

3. Sühne

So lange wir nicht zur Zahl der Heiligen gehören, werden wir gegen den vollkommenen Gehorsam Fehler machen. Prüfe dich und stelle zunächst diese Fehler fest. Dann suche ihre Größe zu erkennen. Die oben entwickelten Gedanken werden dir dazu helfen.

Was willst du tun, um dem Heiland Ersatz dafür zu bieten? Vor allem wirst du sein erhabenes Tugendbeispiel dem ewigen Vater zur Sühne für deinen Ungehorsam aufopfern. Dann siehst du auch, warum es so wichtig ist, nach der Vollkommenheit des Gehorsams zu streben. Ohne ihn wirst du weder demütig noch vollkommen werden, ja dir nicht einmal gefahrlos den Himmel verdienen.

 

4. Bitte

Bitte den Heiland bei seinem erhabenen Gehorsam, er wolle dich gründlich in dieser Tugend befestigen; er wolle dich losschälen von allem, was in dir das Wachstum des Gehorsams noch hindert.

Stelle ihm die Gefahren vor, denen du noch ausgesetzt bist, so lange du noch nicht gehorsam geworden bist; weise ihn auf die herrlichen Tugendfortschritte hin, die du zu machen hoffen darfst, wenn du einmal diese Stufe der Demut erstiegen, und die Verherrlichung, die für Gott daraus entstehen wird. Amen.