Word: Einleitung

 

Einleitung in das Neue Testament 

Stuttgarter Kepplerbibel

 

Neu bearbeitet und mit Erläuterungen versehen von Professor Dr. Peter Ketter

 

1986 St. Roberto Bellarmin Foundation Charlottesville

 

Aus dem Geleitwort zur ersten Ausgabe von Bischof Paul Wilhelm von Keppler

„Das Buch der Bücher“ in schlichtester Form, zum niedrigsten Preis, damit es wirklich Gemeingut aller werden kann, — das ist der einzige Zweck dieser neuen Kleinausgabe des Neuen Testamentes. Sie erscheint mitten im Krieg. Das kleine Format und der kleine Preis sollen weiteste Verbreitung ermöglichen. Bald soll das Heilige Buch in keinem Hause mehr fehlen. Nehmet und leset! Nehmet und gebt es den andern zum Lesen! Niemand ist so hoch gebildet, niemand so ungebildet, daß er auf dieses Buch verzichten könnte oder müßte. Für Gebildete und Ungebildete ist es das Buch der Bücher; nur hat der Gebildete es noch nötiger als der Ungebildete und er muß noch mehr sich Mühe geben, mit Einfalt, Bescheidenheit und Ehrfurcht darin zu lesen. Nach St. Ambrosius ist die Heilige Schrift sowohl einem gewaltigen Strom als einem lieblichen Quellbach vergleichbar; wer den Strom fürchtet, sagt er, trinke herzhaft aus dem Bächlein, wer sich nicht ins weite Meer hinauswagt, fahre getrost dem Ufer entlang (in Ps 36).

 

Rottenburg, den 12. Juli 1915

 

† Paul Wilhelm von Keppler

 

Bischof

 

Imprimatur, Rottenburg, am Fest des heiligen Paulus 1961,

Carl Joseph, Bischof von Rottenburg

(gez. Generalvikar)

Bischöfliche Gutheißung und Empfehlung

Bei seiner Weihe wird an jeden katholischen Bischof die Frage gerichtet: „Willst du durch Wort und Beispiel das Volk belehren aus der Heiligen Schrift?“ Feierlich gelobt er: „Ich will!“ Erst nach diesem Gelöbnis wird ihm das Evangelienbuch wie eine heilige Last auf die Schultern gelegt, und er empfängt den amtlichen Auftrag: „Nimm das Evangelium, geh hin und verkünde es dem dir anvertrauten Volke!“

 

Darum gereicht es mir zur besonderen Freude, an der Verbreitung der Heiligen Schrift in unserer Muttersprache mitwirken zu können, indem ich dieser Neuausgabe der weitbekannten „Stuttgarter Kepplerbibel“ die kirchliche Druckerlaubnis erteile und ihr meine wärmste Empfehlung mit auf den Weg gebe. Es ist mein innigster Wunsch, daß sich die Zahl derer von Tag zu Tag mehre, die durch regelmäßiges Lesen und Betrachten in den heiligen Büchern des Neuen Testamentes den Samen des göttlichen Wortes in sich aufnehmen, um „ihn in einem guten und redlichen Herzen zu bewahren und Frucht zu bringen in Beharrlichkeit“ (Lk 8,15). Während nämlich, wie der heilige Kirchenlehrer Ephräm sagt, „vom Acker nur zur bestimmten Zeit Erntesegen kommt und ebenso vom Weinberg köstlicher Ertrag, quillt aus der Heiligen Schrift immerfort lebenspendende Lehre, so oft wir darin lesen. Täglich kannst du in ihr ernten, ohne daß die Ähren abnehmen, täglich magst du in ihr Weinlese halten, ohne daß die Trauben je geringer werden“ (Rede über die Verklärung Christi, 1). Was der Apostel Paulus kurz vor seinem Martyrium aus dem Kerker an seinen Schüler Timotheus schrieb, hat unverminderte Geltung in der Gegenwart: „Bleibe bei dem, was du gelernt hast und was dir zur Gewißheit geworden ist. Du weißt ja, von wem du es gelernt hast. Von Kindheit an kennst du die Heiligen Schriften, die dich unterweisen können zum Heile durch den Glauben in Christus Jesus. Jede von Gott eingegebene Schrift ist nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung und zur Erziehung in der Gerechtigkeit. So wird der Mann Gottes vollkommen, ausgerüstet zu jedem guten Werke“ (2 Tim 3,14-17).

 

Trier, Pfingstvigil 1936

† Franz Rudolf

Bischof von Trier


 

Vorwort des Herausgebers

Die „Stuttgarter Kepplerbibel“ verdankt ihr Erscheinen dem besonderen Wunsch des damaligen Bischofs von Rottenburg, Paul Wilhelm von Keppler. Selber Exeget von Fach hat er für die zeitgemäße Erschließung der unermeßlichen und unvergänglichen Schätze des geschriebenen Gotteswortes neue Wege gezeigt. Von ihm ermuntert, besorgten mehrere Geistliche der Diözese Rottenburg diese Kleinausgabe des Neuen Testamentes. Sie ist seither in 200 000 Exemplaren verbreitet worden.

 

21 Jahre später, 1936, wurde Dr. Peter Ketter beauftragt, den Text zu überarbeiten und den Kommentar erheblich zu erweitern. 1950 unternahm er eine weitere Verbesserung. Insgesamt sind seit 1915 weit über 1 Million der „Stuttgarter Kepplerbibel“ verbreitet worden. Sie fand ihren Weg in die Tornister der Frontsoldaten und in das Notgepäck der Luftschutzkeller. Der beigegebene Kommentar war darauf angelegt, die Gläubigen vor einer Anpassung an die Welt des Nationalsozialismus und Kommunismus zu bewahren.

 

Hier liegt die unveränderte Ausgabe von 1950 vor. Sie unterscheidet sich wesentlich von allen seit 1964 verbreiteten deutschen Bibelausgaben. Denn Text und Kommentar folgen der Schriftauslegung, wie sie in der Kirche überliefert wurde und die für den Katholiken allein verbindlich ist.

 

Nicht nur das Druckdatum gibt Auskunft über die theologische Zuverlässigkeit einer Übersetzung. Es gibt eine Stelle, die als erste anders übersetzt wird, wenn jemand von der kirchlichen Tradition abweicht, nämlich Lukas 2,14: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen, die guten Willens sind. Sicherlich kann diese Stelle grammatikalisch verschieden übersetzt werden, je nachdem man den Genitiv „des guten Willens“ auf Gott (= Gnade, Wohlgefallen, Huld) oder auf die Menschen bezieht. Die kirchliche Auslegung war aber immer unzweideutig: Der Mensch soll mit den Engeln Gott loben (Gloria der hl. Messe!), und durch die Menschwerdung Christi wird ihm Sein Friede geschenkt, wenn er sich bekehrt.

 

Charlottesville, am 1. Adventssonntag, 30. November 1986

 

Der Herausgeber


 

Der Nutzen der Bibellesung

Es ist für den einzelnen Christen nicht zur Erlangung des Heils notwendig, die Bibel zu lesen, weil nicht jeder sich seinen Glauben erst aus der Bibel herleiten muß, sondern im lebendigen Lehramt der Kirche die nächste und unmittelbare Glaubensregel besitzt. Ebenso gewiß ist aber die Bibellesung zur Vertiefung des Glaubens, zur Erweiterung und Festigung des religiösen Wissens und zur gottgefälligen Gestaltung des Lebens überaus nützlich. Darum hat die Kirche von den Tagen der Apostel an bis heute immer wieder die Gläubigen aufgefordert, fleißig das Wort Gottes zu lesen und zu betrachten, wie es schon der heilige Paulus seinem Schüler Timotheus empfohlen hat (2 Tim 3,14-17). Gilt diese apostolische Ermunterung zunächst vom Alten Testament, weil das Neue damals noch nicht vollendet war, so hat sie noch weit höhere Bedeutung für die Schriften des Neuen Testaments. „Wer die Heiligen Schriften nicht kennt, der kennt Christus nicht“, schreibt der heilige Hieronymus. Der heilige Johannes Chrysostomus erklärt sogar: „Ungezählte Übelstände schreiben sich her von der Unkenntnis der Heiligen Schriften. Daraus quillt der Schlamm so vieler Irrlehrer auf, darauf geht das sorglose Leben so vieler zurück, davon kommt es, daß ihre Arbeiten ohne Ertrag sind. Denn gerade so wie die des Augenlichtes Beraubten nicht ihre geraden Wege gehen können, ebenso müssen die, welche kein Auge haben für das aus den göttlichen Schriften strahlende Licht, in vielen Dingen ständig irren, da sie ja in dichtester Finsternis dahinschreiten“ (1. Homilie zum Römerbrief, 1).

 

Kein religiöses Buch vermag die Heilige Schrift zu ersetzen oder auch nur annähernd an Wert zu erreichen. Wenn doch Gott selber der erste Urheber der Bibel ist, und wenn die menschlichen Verfasser dauernd unter der besonderen Einwirkung des Heiligen Geistes standen, während sie schrieben, wenn also die Bibel wirklich übernatürliche göttliche Offenbarung enthält und frei ist von jedem Irrtum, so wäre es Vermessenheit, wenn ein Mensch glaubte, er könnte ein nützlicheres und wertvolleres Buch schreiben oder lesen als die Bibel.

Wie sollen wir die Bibel lesen?

Nur das rechte Lesen bringt den reichen Nutzen, der nach den Zeugnissen aller Jahrhunderte mit der Schriftlesung verbunden ist. Darum gilt es, auf folgende Punkte zu achten:

 

1. Bereite dich vor.„Vor der Schriftlesung sollen wir unsere Seele bereiten und wie der Priester am Altar vor dem Evangelium beten: ‘Der Herr sei in meinem Herzen und auf meinen Lippen, auf daß ich würdig und wie es sich geziemt, sein heiliges Evangelium verkünde’“ (Kard. v. Faulhaber). „In eine übelgesinnte Seele kehrt die Weisheit nicht ein“ (Weish 1,4). Der Samen des Gotteswortes kann nur dann im Herzen aufgehen und Früchte tragen, wenn es nicht wie hartgetretener Weg, wie felsiger Boden oder vom Unkraut überwucherte Erde ist, sondern gutes Ackerland. Laß es auch nach Möglichkeit stille um dich sein, wenn du das heilige Buch aufschlägst. Stelle deine Seele so ein, daß die irdischen Störungen, so weit es sich erreichen läßt, ausgeschaltet werden und du nur die himmlische Sendung vernimmst.

 

2. Lies mit Ehrfurcht. Gott selber spricht zu dir mit den Worten der Bibel. Große Männer und Frauen pflegten die Bibel kniend zu lesen. Sie hatte stets den Ehrenplatz unter ihren Büchern. Wenn du in der Fremde einen Brief von Vater oder Mutter zur Hand nimmst, dann steht ihr Bild vor deinem Auge. Du hörst ihre liebe Stimme aus den Zeilen, die du liest. So soll der ewige Gott vor dir stehen, während du den Brief an seine Kinder auf Erden liest; denn nichts anderes hast du in der Bibel vor dir.

 

Wundere dich nicht, wenn du nicht gleich alles verstehst oder sinnvoll findest. Die Bibel ist ja für alle Völker aller Zeiten geschrieben. Was dir zunächst nichts zu sagen scheint und dunkel vorkommt, leuchtet dir zu anderer Zeit in seiner wunderbaren Tiefe auf oder ist andern schon zum Licht auf dem Lebensweg geworden. Gottes Geist weht, wo er will. Je länger du dich mit dem Gotteswort beschäftigst, und je mehr deine Ehrfurcht vor ihm wächst, um so größer wird deine Bewunderung für die darin verborgene Wahrheit werden, so daß du mit dem Apostel Paulus gestehst: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes, wie unbegreiflich sind seine Gerichte und wie unerforschlich seine Wege! Wer hat den Sinn des Herrn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen? Oder wer hat ihm zuerst etwas geschenkt daß ihm vergolten würde? Denn aus ihm und durch ihn und für ihn ist alles; ihm sei Ehre in Ewigkeit!“ (Röm 11,33-36.)

 

3. Lies in der rechten Absicht. Nicht bloße Neugier soll dich treiben. Auch nicht das eitle Bestreben, dich vor anderen rühmen zu können: Ich habe die ganze Bibel gelesen. Demütig vernimm, was Gott dir sagen will zur Belehrung zum Tadel oder zur Ermutigung. Bilde dir nicht ein, du hättest das Recht oder die Fähigkeit, wie ein Anwalt den allwissenden Gott mit deiner Kritik am Bibelwort auf Mängel oder Irrtümer aufmerksam zu machen. Dünkst du dich über die Lehren der Offenbarung erhaben, so schließ das heilige Buch lieber zu. „Den Stolzen widersteht Gott, den Demütigen schenkt er Gnade.“ Thomas von Kempen möge dir sagen, in welcher Absicht du die Bibel lesen sollst: „Wahrheit, nicht Beredsamkeit muß man in den Heiligen Schriften suchen. Die ganze Heilige Schrift soll in dem nämlichen Geiste gelesen werden, in welchem sie verfaßt worden ist ... Willst du Gewinn schöpfen, so lies mit Demut, mit Einfalt und Treue“ (Nachfolge Christi 1, 5). Derselbe Thomas von Kempen preist die heilige Eucharistie und die Heilige Schrift als „die zwei Dinge, die uns ganz besonders notwendig sind, ohne die uns dieses elende Leben unerträglich wäre“. Wie ohne Speise und Licht unser leibliches Leben abstirbt, so ist das Wort Gottes das Licht der Seele und das allerheiligste Sakrament das Brot des Lebens. „Man kann sie die zwei Tische nennen, die zu beiden Seiten in der Schatzkammer der heiligen Kirche aufgestellt sind“ (Nachfolge Christi IV, 11). Wir sollen also mit ähnlicher Gesinnung das Wort Gottes bei der Bibellesung in uns aufnehmen, wie wir zur heiligen Kommunion gehen. Halte öfter beim Lesen eine Weile inne, um das Gelesene zu überdenken und auf die inneren Anregungen des Heiligen Geistes zu lauschen.

 

Vielleicht geht es dir dann ähnlich wie dem großen Bibelfreund Paul Wilhelm von Keppler, Bischof von Rottenburg. Als er starb, lag auf seinem Arbeitstisch die Niederschrift eines Vortrags über die Bibel, den er einige Tage später halten sollte. Darin legte er das herrliche Bekenntnis ab über die Bedeutung der Heiligen Schrift in seinem Leben: „Mein Lebensbuch und Lieblingsbuch bist du, von der göttlichen Vorsehung selber mir in die Hand gegeben, du Buch des Heiligen Geistes und Buch der Mutter des göttlichen Wortes. Dir verdanke ich so viele heilige Stunden meines Lebens, dir das Beste, was je über meine Lippen floß. Ich könnte nicht mehr leben, nicht mehr wirken ohne dich. Du entrückst mich dem Sumpfboden und Flachland des Alltagslebens und wölbst über mir das himmelblaue Firmament der Ewigkeit. Du redest zu mir in den stillen Stunden der Nacht mit dem wundersamen Schweigen der Wahrheit, wie St. Augustin sagt, mit diesem Schweigen voll himmlischer Töne und Klänge und voll übermenschlicher Beredsamkeit. Du redest zu mir, wie derselbe Augustinus sagt, mit deiner himmlischen Stimme und deinem lautrufenden Stillschweigen, flüsterst das eine Mal mit Zephyrhauch der Seele süße Geheimnisse zu; dann wieder dringst du mit Donnerstimme bis auf den Grund der Seele und durchzuckst sie mit deinen Blitzen. Ich liebe dein Wort, wenn es Feuer und Flamme ist (Ps 119 [118], 140) und wenn es süß ist meinem Gaumen mehr als Honig (Ps 119 [118], 103), wenn es Licht in meinen Füßen und Leuchte auf meinen Wegen (Ps 119 [118], 105), und wie ein zweischneidiges Schwert, das durchdringt bis zur Scheidung von Seele und Geist, Gelenk und Mark (Hebr 4,12)“.

 

4. Lies mit Beharrlichkeit. Wer nur nach Laune und Stimmung in der Bibel liest, wird bald den Geschmack daran verlieren. Nimm dir deshalb nicht bloß vor: Ich will öfter in der Heiligen Schrift lesen, sondern setze dir, soweit du über deinen Tag verfügen kannst, eine bestimmte Zeit dafür fest und gehe nicht ohne zwingenden Grund davon ab. Auf die Beharrlichkeit kommt es mehr an als auf den Umfang des Abschnittes, den du liest. Dann wird die regelmäßige Beschäftigung mit dem Worte Gottes deinem gesamten religiösen Leben den Stempel einer gesunden, geläuterten und gefestigten Frömmigkeit aufprägen, ebenso frei von gekünstelter Frömmelei und selbstquälerischer Verkrampfung wie von kalter Berechnung und selbstgefälligem Auserwähltenstolz: „Wenn ihr in meinem Worte verharret, dann seid ihr wahrhaft meine Jünger. Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen“ (Jo 8,31-32).