Parolin: Im Vatikan herrscht „Unruhe“
Vatikan hofft Viganò-Dossier auszusitzen

https://www.katholisches.info/2018/08/vatikan-hofft-vigano-dossier-auszusitzen/

 

Im Vatikan herrschen Betrübnis und Unruhe. Das Viganò-Dossier erschüttert das aktuelle Pontifikat und die nächsten Stürme brauchen sich schon zusammen.

(Rom) Im Vatikan herrscht über das Dossier des ehemaligen Apostolischen Nuntius Carlo Maria Viganò offensichtliche Irritation. Erkennbar ist sie an widersprüchlichen Reaktionen. Offensichtlich herrscht noch keine wirkliche Strategie, wie damit umgegangen werden soll. Die minimalistische Gegenstrategie lautet: ignorieren und aussitzen. Eine Strategie, der es nicht an Brisanz fehlt, denn auf dieselbe Weise wurde in der Vergangenheit häufig auf sexuelle Mißbrauchsvorwürfe reagiert.

Zunächst berichtete die italienische Nachrichtenagentur ANSA am Montag abend, daß Papst Franziskus „betrübt“ sei über das Dossier, aber nicht an einen Rücktritt denke. Eine Rücktrittsforderung war von Erzbischof Viganò mit der Veröffentlichung des Dossiers verbunden worden. ANSA nannte keine konkrete Quelle, sondern lediglich „Mitarbeiter“ des Papstes. Es besteht dennoch kein begründeter Zweifel, daß die Informationen dazu nicht aus dem engsten Umfeld des Papstes stammten, und ihre Veröffentlichung zu jenem Zeitpunkt entsprechend gewollt war.

Am Dienstag berichteten dann aber zwei dem Papst sehr nahestehende Journalisten im Avvenire, der Tageszeitung der Italienischen Bischofskonferenz, das Gegenteil:

„Papst Franziskus ist nicht betrübt wegen des Viganò-Briefes“.

Und weiter:

„Die Stimmen über die Reaktion von Franziskus auf das Dossier des ehemaligen Nuntius, der seinen Rücktritt fordert, wurden dementiert.“

Wie bereits in früheren Momenten dieses Pontifikats dementierte damit eine vatikanische Quelle eine andere, und das gleich scharf.

Laut Avvenire, „arbeitet der Papst wie immer“. Eine gegenteilige Behauptung „einer Presseagentur“ wurde von der Zeitung der Bischöfe als „Machenschaft“ und „Vulgarität“ bezeichnet. Auch Avvenire nannte lediglich „glaubwürdige vatikanische Quellen“, aber keine konkreten Namen.

Unabhängig davon reagierte Vatikansprecher Greg Burke auf Journalistenfragen mit einer saloppen Gegenfrage:

„Wirkte der Papst am Sonntag abend im Flugzeug betrübt? Ich bitte Sie …“.

Soweit der Aspekt der päpstlichen Betrübnis. Zum brisanteren Aspekt, der Rücktrittsforderung von Kurienerzbischof Viganò,  dementierte Avvenire den ANSA-Bericht nicht. Daß der Papst nicht an Rücktritt denkt, entspricht demnach den Tatsachen.

Aldo Maria Valli, langjähriger Vatikanist der RAI, der seinen Kollegen Marco Tosatti zum Viganò-Dossier unterstützt, veröffentlichte am Dienstag ein Interview mit Nuntius Viganò. Dieser verteidigte sich gegen teils harte Kritik aus dem päpstlichen Umfeld, mit der seine Beweggründe und seine Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen wurden.

„Ich handle nicht aus Rache. Ich will nur, daß die Wahrheit ans Licht kommt“.

In dem Interview sagte Viganò aber noch mehr:

„Ich habe geredet, weil die Korruption inzwischen in den Spitzen der kirchlichen Hierarchie angekommen ist. An die Journalisten gewandt: Warum fragen sie nicht, was aus der Dokumentenkiste geworden ist, die – wir haben es alle gesehen – von Papst Benedikt auf Castel Gandolfo an Papst Franziskus übergeben wurde? War alles umsonst?“

In der Tat zeigten Filmaufnahmen im März 2013, wie der soeben zurückgetretene Benedikt XVI. bei der ersten Begegnung mit Papst Franziskus diesem eine ganze Kiste von Dokumenten übergab. Die vatikanischen Medien legten damals größten Wert darauf, ein harmonisches Verhältnis zwischen den beiden Kirchenoberhäuptern zu zeigen, weshalb massenhaft Bilder verbreitet wurden, die beide Päpste zeigen. Nicht bekanntgegeben wurde, was die beiden miteinander besprachen.

Gestern meldete sich schließlich Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin zum Viganò-Dossier zu Wort.

„Der Papst ist gelassen“, so die Überschrift von Vatican Insider in direkter Rede, aber „im Vatikan herrschen Betrübnis und Unruhe“.

Der Kardinalstaatssekretär bügelte damit die sich widersprechenden Berichte der Vortage aus. Es herrsche Betrübnis, aber nicht der Papst sei betrübt, sondern Mitarbeiter im Vatikan. Das Dossier des ehemaligen Nuntius in den USA habe „großen Schmerz“ ausgelöst, aber nicht bei Franziskus, so Parolin, sondern „bei den Mitarbeitern von Franziskus“.

Der Kardinal war bemüht, den Eindruck zu vermitteln, daß alles seinen gewohnten Gang gehe. Das Gespräch mit Vatican Insider fand am Rande eines Empfangs in einem der Höfe der Vatikanischen Museen bei „typisch mexikanischem Essen und mexikanischer Musik“ statt.

Liest man die Aussagen Parolins genauer, sagen sie allerdings nicht ganz aus, was die Überschrift behauptet. Wörtlich sagte der Kardinalstaatssekretär:

„Ich habe eine Erklärung des vatikanischen Presseamtes gesehen, die sagt, daß der Papst gelassen ist. Was ich gesehen habe (in diesen Tagen war ich mit ihm auf der Reise nach Irland und danach), scheint er gelassen.“

So ganz bestätigen wollte Parolin diese Gelassenheit also nicht. Weiter sagte er:

„Der Papst ist eine große Gnade, auch angesichts solcher Dinge, die natürlich so viel Betrübnis und auch Unruhe schaffen. Er verfügt aber über eine Fähigkeit, eine sehr gelassene Art zu haben.“

Zum Dossier von Erzbischof Viganò wollte der Kardinalstaatssekretär nicht Stellung nehmen:

„Gegenüber solchen Dingen ist nur möglich, den Schmerz zum Ausdruck zu bringen, großen Schmerz. Ich hoffe, daß wir alle an der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit arbeiten, daß das die Bezugspunkte unseres Handelns sind und nicht andere. Natürlich ist die Sache keineswegs besorgniserregend.“

Auch auf die explizite Nachfrage von Vatican Insider weigerte sich der Kardinalstaatssekretär zum Inhalt des Viganò-Dossiers Stellung zu nehmen:

„Es ist besser zu diesen Dingen nicht in Details zu gehen. Ich wiederhole, was der Papst gesagt hat: Lest es selbst und bildet euch eurer Urteil. Der Text spricht für sich.“

Stimmen die Vorwürfe, sind sie sehr wohl „besorgniserregend“. Die Weigerung, auch nur den Versuch zu unternehmen, sie zu widerlegen, wirft neue Fragen auf. Mit diesem von Parolin zitierten Satz, formuliert auf dem Rückflug am Sonntag abend von Irland, folgte Franziskus einmal mehr seiner Strategie, unangenehmen Fragen durch eine Nicht-Antwort auszuweichen. Daß inzwischen auch der Kardinalstaatssekretär diesen Satz wiederholte, bestätigt, wie sehr die Bombe des Viganò-Dossiers das derzeitige Pontifikat erschüttert. Die Gegenstrategie lautet ignorieren und aussitzen. Ironischerweise entspricht das der Strategie, mit der zu oft von kirchlicher Seite auf sexuelle Mißbrauchsvorwürfe reagiert wurde.

Unterdessen braut sich bereits der nächste Sturm zusammen. Erzbischof Viganò wirft Franziskus vor, über die Schandtaten von Kardinal McCarrick informiert gewesen zu sein und dennoch geschwiegen zu haben. Inzwischen wird Franziskus vorgeworfen, auch zu Nikaragua geschwiegen zu haben. Dort geht es um einen ähnlichen Fall: um ein homosexuelles Doppelleben und sexuelle Beziehungen eines Bischofs mit eigenen Seminaristen und Untergebenen.

Die Zeichen stehen auf Sturm, und es scheint die „Homo-Häresie“ zu sein, die dieses Pontifikat ins Wanken bringt.

Text: Giuseppe Nardi