Aus dem Pfarrbrief des Pfarrverbandes St. Elisabeth in Düren, Bistum Aachen Ausgabe 1/18

GOTT BRAUCHT PRIESTER

Verehrte Leserinnen und Leser,

unserer Kirche fehlen die Priester. Der guten, alten Pfarrei kostet das die Existenz. Das tut vielen weh, kann man aber nutzen. Seit den 1990er Jahren ist die Zahl der katholischen Geistlichen trotz vieler „Import-Priester" kontinuierlich gesunken. Im Jahr 2015 gab es in den deutschen Bistümern 14.087 Welt- und Ordenspriester, ein Rückgang von 25 Prozent gegenüber 1995. Die nur sehr geringe Zahl der Neupriester reicht keineswegs aus, die immer größer werdenden Lücken auch nur annährend zu füllen. Hinzu kommt die starke Überalterung der Priesterschaft, so dass die in den kommenden Jahren noch dramatischeren Rückgänge absehbar sind.

Durch die unsäglichen Zusammenlegungen und Schließungen wurde die Zahl der Pfarreien und Seelsorgestellen zwischen 1995 und 2015 um 19 Prozent auf 10.817 reduziert, ein Rückgang, der vor allem in ländlichen und weniger dichten katholischen Gebieten zu einem Ausbluten der Gemeinden und einer Abwendung der Kirche von den Menschen führt.

Die bisher auf die Leitung durch einen zölibatären Priester ausgelegten Personalstrukturen haben viele Menschen heimatlos gemacht. Die Bischöfe kommen ihrer pastoralen Verantwortung nicht mehr nach. Sie beklagen den Stillstand und setzen dennoch weiterhin nur auf überkommene Formen, statt mutige Vorschläge zu machen, wie es Papst Franziskus erwartet.

Ein Bischof, der sich notwendigen Reformen grundsätzlich verweigert, weil er dem Grundsatz „ecclesia semper reformanda - die Kirche ist immer reformbedürftig" zuwiderhandelt, verfügt über eine Leitungsschwäche in seiner Amtsführung. Wegen dieser Untätigkeit der Kirchenleitung, überfällige Reformen mutig anzupacken, müssen die Gemeinden ihr Geschick selber in die Hand nehmen und nach neuen Formen auch der Leitung suchen. Weil der Bischof keinen Priester mehr in die Gemeinden entsenden kann, feiern immer mehr Gemeinden deshalb auch ohne geweihten Priester Gottesdienst. Die Leitung übernehmen befähigte Männer und Frauen. Das gemeinsame Priestertum aller gibt dafür die Berechtigung. Menschen treffen sich, hören die Botschaft vom Reich Gottes, sprechen darüber, wie sie heute zu verwirklichen ist mit allen Menschen guten Willens, wie es Jesus getan hat. Denn Kirche ist nicht, wo der Priester ist, Kirche ist dort wo die Gemeinde ist; Kirche heißt: Gemeinde des Herrn. Die Worte Jesu beim letzten Abendmahl „Tut dies zu meinem Gedächtnis!" sind zur Ausführung nicht einen geweihten zölibatären Mann übertragen worden, sondern der ganzen Gemeinde. Gemeinden haben jahrhundertelang ohne Priester überlebt. So könnte der Priestermangel auch zum Segen für die Gemeinden werden.

Die Kirche hat ihrem Sendungsauftrag nachzukommen. Der Mangel an Priestern erschwert diesen ihren Dienst heute offenbar stärker denn je. Freilich sollte sich die Deutung der heutigen Personalnot nicht darauf beschränken, klaffende Lücken zu stopfen und lediglich Symptome zu kurieren. Noch wichtiger ist, dass sie eine wirklich fundamentale Besinnung auslöst.

Allein diese kann entdecken, dass der schmerzhafte Priestermangel wirklich einen heilsgeschichtlichen Sinn hat. Heute dominiert unabwendbar irdisches Danken und Handeln die Christen und das kirchliche Tun. Der Appell der Stunde: In Kirche und Welt ist vorrangig die Mitte der Heilsbotschaft zu verkünden und zu fördern. Deren Wahrheit und ihr Anspruch sind direkt anzusprechen. Im hohepriesterlichen Gebet wendet sich Jesus an den Vater und formuliert den Appell und die Verheißung, die den johanneischen Christus zutiefst bewegen: „Das ist das ewige Leben, dass sie dich, den einzig wahren Gott, erkennen" (Joh 17,3). Dies zu wirken, weiß der Herr als die Mitte seiner Sendung. In Jesu Predigt kann man hören, dass „die Ernte groß, aber es nur wenig Arbeiter gibt" (Lk 10,2). Und wenn die junge Gemeinde uns dieses Herrenwort aufgezeichnet und weitergegeben hat, dann hatte die Klage offensichtlich ihren „Sitz im Leben".

In dieser Notlage sind fraglos über die Priester und Diakone hinaus auch Laienakteure in der Pastoral unverzichtbar. Die Einstellung von Gemeinde- und Pastoralreferenten/innen muss aufgestockt werden. Zusätzliche Arbeitsplätze müssen eingerichtet werden. Sie mögen im Volk Gottes auch durchaus neue Dienstbereitschaft wecken, dass sie die Amtsstruktur der Kirche öffnen. Überlegungen zu neuer Personalrekrutierung sind notwendig geworden. Sie verbreiten Modelle für die Bewältigung des gegebenen Arbeitsanfalls. Im fortlebenden Christus kann das Licht der Offenbarung nicht ausgeblendet werden. Jesus Christus ist und bleibt der Eckstein. Darum lehrt der Völkerapostel: „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist; Jesus Christus, Gottes Weisung und ihre Deutung durch die Kirche hat jahrhundertelang alle pastorale Tätigkeit orientiert und geordnet. Sein Bescheid ist auch heute maßgeblich für die Neufassung aller kirchlichen Dienste. Welche Daten lassen sich nun im Neuen Testament für die Stiftung des kirchlichen Amtes greifen? Als Erstes ist auf die Sendung aller Getauften zu Zeugnis und zur Verkündigung von Gottes großen Taten zu verweisen. Ein bezeichnender Vers aus dem 1. Petrusbrief - „Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft... gesandt, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat" (2,9).

Was macht eigentlich einen Priester aus? Das ist, zumal in Zeiten des Priestermangels, eine dringende Frage. Wir sollten den Wunsch hegen, das Priestertum Jesu Christi zu kennen und zu verstehen. Wir sollten erkennen, was es für uns bedeutet, die wir in der Kirche leben - die wir in Christus leben. Denn es ist jenes Priestertum - das darbringt - das opfert - das unsere Rettung erwirbt. Was hat Jesus getan? Was hat er getan, als er das Priestertum des Neuen Bundes in seinem Blut begründet? Er hat nichts anderes getan, als die ganze Heilsgeschichte in seinem eigenen Leben zu rekapitulieren. So verkündet das Neue Testament Jesus als Sohn Davids, des großen Königs Israels. So stellen die Evangelien Jesus dar, der seine Rolle erfüllte, die an Moses denken ließ, indem er auf den Berg ging, um ein neues Gesetz zu verkünden: die Bergpredigt. So präsentiert der Heilige Paulus Jesus als Erfüllung der Verheißungen Gottes an Abraham. So begründet der Heilige Paulus die Taufe, indem er sie an die Geschichte der Sintflut anknüpft.

Jesus war erfolgreich als Priester und stellte so das natürliche Priestertum der Menschheit wieder her. Das hat gewaltige Auswirkungen für jeden Christen. Denn mit der Taufe wurden wir zu einem priesterlichen Volk. Mit der Taufe hat uns Gott dazu berufen und befähigt, die ganze Welt zu übernehmen und sie wieder in ein Heiligtum zu verwandeln - und alles in ihr in ein Opfer umzuwandeln. Das Priestertum Adams wurde im neuen Adam, Jesus Christus, in dem wir leben, uns bewegen und indem wir sind, wieder erneuert. Die Gläubigen heiligen die Welt durch das allgemeine Priestertum - aber die Priester der Kirche heiligen die Gläubigen durch ihre Sakramente. Das wurde auch auf mächtige Weise im Alten Testament angedeutet, in der Person einer geheimnisvollen Figur in den mittleren Kapiteln des Buches Genesis.

Melchisedech ist die erste Person, die in der Heiligen Schrift ausdrücklich als Priester bezeichnet wird. (Gen 14,18-20). Tatsächlich wird er als erste Person im Buch Genesis als Priester des Allerhöchsten, desselben Gottes, der von Abraham verehrt wurde, identifiziert. Die anderen Priester, denen wir in dem Buch begegnen, sind Diener heidnischer Götter (Gen 41,45.50). Das ist das Priestertum, das Jesus mit seinen Dienern in der Kirche auf Erden teilt. Die Apostel wussten es. Ihr Priestertum trug einen bleibenden Charakter und die übertrugen diesen Charakter auf nachfolgende Generationen durch das Sakrament der Priesterweihe. Jeder Priester ist, wie Jesus, „ein Priester auf ewig". Sie sind dazu berufen, Priester für immer zu sein. Sie sind für etwas Beständiges berufen - beständiger als die Ehe, die anhält solange beide Ehepartner leben.

Die Bereitschaft des Priesters zum Zölibat um des Himmelreiches willen, gehört zu den Schlüsselqualifikationen. Die Priesteramtskandidaten bekennen sich um des Himmelreiches willen zu ungeteilter Hingabe für Jesus Christus. Der Zölibat ist stets ein „Zeichen des Widerspruchs" in einer Welt, die zu einer ungeordneten Sinnlichkeit tendiert. Der Zölibat ist ein Geheimnis, doch er ist nicht so mysteriös oder seltsam, wie ihn die Kritiker darstellen. Erstaunlicherweise entstanden die bis heute als unverrückbar geltenden Normen und Gesetze unserer Kirche oft durch Zufall und ohne Bibel-Grundlage.

Ehe ist ein Sakrament, der Zölibat ist eine Lebensform. Beide sind bewusste Formen der sozialen Lebenswahl: die Ehe zu einer lebendigen Gemeinschaft, der Zölibat dazu bewusst alleine zu leben. Die Treue der Eheleute ist Ebenbild der Treue Gottes zur Welt und Kirche. Die Ehelosigkeit, „um des Himmelreiches willen", hat im Christentum von Anfang an eine große Sympathie gehabt. Die immer engere Verbindung von Weiheamt und Zölibat hat sich weiter durch die „Monastisierung des Klerus wie auch die Klerikalisierung der mönchischen Bewegung" verstärkt. Der Zölibat gilt heute dagegen bei vielen als ein zu „hohes Ideal, das dauerhaft kaum lebbar ist".